Das Jubiläum

(c) Klaus Marion 1995


"Wir haben bald Jubiläum. Du solltest am Mittwoch Abend mal vorbeischauen. Wir planen ein paar Aktionen, und für die Jubiläumsausgabe wollen wir ein paar Bilder aufnehmen. Und vielleicht feiern wir noch ein bißchen."

So sprach mein Herausgeber.

Bei meinem Eintreffen saß die Runde schon bereit. Nach den lebhaften Gesten unseres Fotografen hin gruppierten wir uns zwanglos um einen bereitgestellten Tisch und versuchten, einen absolut zufälligen Eindruck zu hinterlassen. Die diesbezüglichen Bemühungen brachten nur teilweise akzeptable Ergebnisse. Der Vorschlag, eine durchschnittliche Redaktionssitzung darzustellen, wurde schließlich mit Mehrheit angenommen. Nach dem verstreuen von Essensresten, verschiedenen Abfällen und der pantomimisch sehr ausdrucksvollen Darstellung von allgemeiner Langeweile wurde ich und Christian gebeten, den Part der schlafenden Personen zu übernehmen. Ich legte meine Kopf auf die Tischplatte, schloß die Augen und harrte auf die kommenden Dinge. -

Der Herausgeber beugte sich vertrauensvoll zur mit herüber.

"Ich habe für dieses Jubiläum die Mitarbeiter gebeten, in eigener Regie etwas auf die Beine zu stellen. Du verstehst schon, Eigenverantwortung und so weiter. Eine kleine Aktion, dezent, geschmackvoll, kostengünstig. Ich habe Ihnen freie Hand gelassen. Ich bin gespannt, was sie daraus gemacht haben."

Er räusperte sich vernehmlich.

"Kommen wir zur Organisation der Jubiläumsaktion. Andreas, was wurde geplant, und wie stehen wir zur Zeit?."

Der Angesprochene blickte in die Runde.

"Tja, wir haben die Planungen und Vorbereitungen zur hundertsten Ausgabe so gut wie abgeschlossen. Nach einem sehr erfolgreichen Brain-Storming, daß wir aus kreativitätstechnischen Gründen auf der Kauzenburg abgehalten haben ..."

"Kauzenburg?"

"Ja, aber darauf kommen wir noch im Zusammenhang mit den Spesenabrechnungen zu sprechen..."

Der Herausgeber zuckte zweimal kurz mit dem rechten Auge.

"Nun, auf jeden Fall läuft alles Großartig. Lediglich der Fehldruck auf den Jubiläumsballons war etwas ärgelich, aber Sandra konnte telefonisch einen kostenlosen Neudruck durchsetzen. Naja, bei der Auflage fast selbstverständlich..."

"Ein Fehldruck?"

"Ja, statt '100 Ausgaben VORSICHT - Das ultimate Festival' auf silberkaschirten Ballons in Buchstabenform wurde versehentlich bei 15000 Exemplaren '100 Jahre' aufgedruckt. Wie gesagt, ein kostenloser Reprint ist zugesagt."

"Festival? Blattgoldauflage??"

Die Stimme des Herausgebers zeigte eine unbestimmte Unruhe.

Nadja sprang in die Bresche.

"Na ja, so ergibt sich ein besonders schöner Kontrast zu den angehängten Gratisgutscheinen. Wenn wir Sie mit der neuen Hasselblatt fotografieren."

"Einer von Euch har eine Hasselblatt?"

"Äh nein, die VORSICHT hat jetzt eine. Ich dachte ja nur, wir würden sie sowieso brauchen, um die besser Prominenten abzulichten."

Das Zucken der Augenlieder des Herausgebers nahm rhytmische Formen an.

"Vielleicht verstehe ich nicht so ganz. Ihr habt also eine Jubiläumsveranstaltung geplant. Nun ja, sicherlich eine schöne Sache, lobenswert, man könnte die Anzeigenkunden alle mal einladen und vielleicht eine Cola anbieten. Warum nicht. Ist zwar etwas teuer, aber nun... Ja, warum nicht...Da fällt mir ein, ich habe vorhin eine Rechnung über 14000 Bratwürste gesehen. Das ist doch sicherllich ein Irrtum?"

Sein Blick wurde forschend. "Und was war das mit der Hasselblad?"

Christine erhob sich

"Nun ja, wir dachten, damit die Fernaufnahmen etwas plastischer kommen..."

"Was für Fernaufnahmen? In useren Räumen..."

"Im Freien"

"Na gut, selbst in unserem Hof..." Er stockte. Ein wager Verdacht schien in ihm zu keimen "Nicht in unserem Hof?"

Er erbleichte

"Ihr habt doch nicht etwas auf dem Kornmarkt was vor?"

Michael blickte etwas betreten.

"Nein, nicht direkt. Wir äh haben das Stadion gemietet"

"IHR HABT DAS MÖBUS-STADION GEMIETET???"

"Nein, das Frankfurter Waldstadion..."

Die Contenance des Herausgebers bekam ersnthafte Probleme, sich gegen eine aufkommende Panik zu behaupten.

"KANN mir einer VERRATEN, wozu WIR ca 60000 Sitzplätze benötigen?"

"Na ja, wir dachten, weil Pavarotti halt relativ viel Publikum zieht." Tanja bemerkte die gesträubten Augenbrauen.

"Na ja, Gerhard meinte, wenn der Ministerpräsident kommt, können wir nicht nur Heavy Metal Gruppen auftreten lassen" erläuterte Marianne hastig.

"Aber keine Sorge, die drei Polizeihundertschaften werden mögliche Gewalttaten und Demonstrationen unter Kontrolle halten.

Das Gesicht des Herausgebers war nur schwer zu beschreiben, als er schwankend zu einem Ordner mit der Aufschrift "Kontoauszüge" griff und einige blätternde Bewegungen vornahm.

Seine undefinierbaren Ausrufe mit einem starken Zug ins hindukuschtanische entbehrten jeder vernünftigen sprachlichen Deutung. Lediglich einige Fetzen waren zu vernehmen, die wie "T-Shirts?... Ballonrundflüge?... Mitarbeiterpräsente??" klangen und Gérard zu einer schnellen Erklärung veranlaßten.

"Es war einfach notwendig, weil bei der angepeilten Auflage der Jubiläumsnummer von 200000 die Zahl der potentiellen Leser regional einfach zu niedrig ist. Deswegen..."

"ARRG"

"...haben wir beschlossen, die Verlosung der Preise im Rahmen eines Gastauftrittes beim Musikantenstadel vorzunehmen."

"Die Bestätigung der Buchungen für die Preise nach Hawai, Kenia und Florida ist übrigens schon gekommen" warf Sandra in die Runde.

"RRGHH"

Andreas beugte sich zu mir herüber.

"Ich glaube, wir sollten ihm erst einmal nichts von der Mitarbeiterreise nach Sydney sagen."

"Nach Sydney?"

"Natürlich für je 2 Personen und mit Hotelübernachtung. Das sollte der VORSICHT ein Jubiläum schon wert sein.

Zustimmend nickte ich mit dem Kopf und versuchte es erneut mit Herzmassage.

 

Eine Hand rüttelte mich kräftig an der Schulter. Ich fuhr hoch und blickte den Herausgeber an.

"Die Bilder sind fertig. Du kannst wieder aufwachen. Schläft doch glatt ein. Jetzt kommen wir zu unserer Jubiläumsaktion. Wie bekannt, sollte in allgemein schwierigen wirtschaftlichen Zeiten gespart werden. Eine Sonderaktion muß also ausfallen.Dafür habe ich heute eine Flasche Sekt und 2 Tüten Chips mitgebracht. Schließlich wollen wir feiern!"

Aus der Traum.

Spenden der Leser werden angenommen.

 

Klaus Marion


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Last updated 98/05/03