10 Jahre VORSICHT

(c) Klaus Marion 1995

erschienen in VorSicht


10 Jahre Vorsicht: Zeit, einige bedeutsame Vorurteile über das Wirken und Schaffen der VORSICHT und ihrer Mitarbeiter aus der Welt zu schaffen.

Für diese investigative Arbeit werde ich wohl keinen Dank ernten - Kollegen werden mich ob dieses Geheimnisverrates schneiden, das Finanzamt dunkle Fragen stellen, mein Herausgeber wird mich mit finsteren Blicken strafen. Egal. 10 Jahre sind der Anlass, endlich etwas aufzuklären:

 

Die 8 wichtigsten Irrtümer über die Arbeit für die VORSICHT

1. Irrtum

Alles muß schnell gehen

Dies ist eine Behauptung, die von missgünstigen Zungen in die Welt gesetzt wurde, um die Arbeit von Redakteuren und freie Mitarbeitern zu diskreditieren. Da ist von permanentem Termindruck die Rede, von gehetzten Gestalten, die in hektischen Zeiten den Anblick eines geistig Derangierten bieten, die in den Stunden vor dem Redaktionsschluss in namensloser Qual an ihren Bleistiften kauen, um noch eine Kolumne zu füllen.

Alles Unsinn.

Dies ist nur eine Aura, die jedes hochbrisantes Blatt wie die VORSICHT einfach umwehen muss. Keiner kann sich vorstellen, dass Artikel bereits wochenlang vor dem Abgabetermin fertig redigiert der Redaktion vorliegen. Der Satz erfolgt bereits Tage vor dem eigentlichen Fertigstellungstermin. Es gibt keine Hektik. Die Stunden vor dem Redaktionsschluss sind geprägt von philosophischen Gesprächen am flackernden, offenen Kaminfeuer, von Betrachtungen der aktuellen historischen Lage und dem reichen von Tee seitens des Herausgebers.

2. Irrtum

Es gibt keine Spesen

Hier muss ich mit Bestimmtheit sagen: Blödsinn. Kein Journalist, Satiriker oder Spartenredakteur kann eine vernünftige Arbeit leisten, wenn er nicht durch ausreichende finanzielle Mittel dabei unterstützt wird: Betrachten wir einmal meinen Fall. Bei meinen Recherchen für die inzwischen klassische Glosse über das Politessenproblem in Bad Kreuznach wurden mir folgende notwendigen Dinge finanziell ersetzt: 15 Taxifahrten in die Innenstadt; 1 Leihwagen (BMW 324i), ein Fernglas (Zeiss), 12 Mittagessen im Insel Hotel, Bestechungsgelder für Angestellte der Stadtverwaltung, ein Wohnwagen für nächtliche Beobachtungen, 2 Hubschrauberflüge über der Innenstadt sowie der Einkauf der kompletten Einsatzkleidung.

Und wenn nicht jugendschutzrechtliche Bestimmungen mich an der Nennung interessanter Details hindern würde, die Aufzählung der Spesenabrechnung für meine Artikel "Nachtleben in Bad Kreuznach im Rotlichtmilieu" überzeugte alle Zweifler von der Unhaltbarkeit derartiger Vorwürfe.

3. Irrtum

Die VORSICHT möchte Gewinn erwirtschaften

Dies ist eine Unterstellung, der ich an dieser Stelle nur mit aller Energie entgegen treten möchte. Wer meinen Herausgeber jemals in seinem Büro fern jedem Publikumsverkehrs erlebt hat, der erkennt schon anhand der zerschlissenen, aus Beständen des Roten Kreuzes der 60er Jahre mildtätig zur Verfügung gestellten Kleidung, dass jeder eingenommene Pfennig wohltätigen und caritativen Zwecken zufließt. Es kostete der Redaktion monatelange Überredungskunst, ihn davon zu überzeugen, dass er zum Empfang von Besuchern oder Kunden mindestens eine ungeflickte Hose besitzen müsse, und dass für seine Büroeinrichtung investierte Gelder nicht grundsätzlich verschwendet seien. Nein, die VORSICHT hat sich streng humanitären Zwecken verschrieben, veranstaltet in ihren Räumen regelmäßig mildtätige Speisungen sowie betreut in großer Zahl ausländische Mitbürger, Alte und Spätumsiedler.

4. Irrtum

Die Mitarbeiter leiden unter langen unregelmäßigen Arbeitszeiten

Dies ist völliger Unsinn, von missgünstigen Zeitgenossen aufgebracht, um ihren Neid auf die aufregende Welt des Journalisten zu befriedigen.

Lächerlich. Arbeitsbeginn ist regelmäßig von Montag bis Freitags 9 Uhr. Durch eine großzügige Gleitzeitregelung tauchen die ersten Personen normalerweise aber erst gegen 10 bis 11 Uhr in den Redaktionsräumen auf. Bevor alle zusammen das Mittagessen auf Firmenkosten in einem der besseren Etablissements der näheren Umgebung einnehmen, nötigt der Herausgeber den Redakteuren (und zufällig anwesenden freien Mitarbeitern) selbstgebackene Krapfen sowie Kuchenstücke nebst Kaffee in rauen Mengen zum zweiten Frühstück auf. Gegen 15 Uhr ist Kaffeezeit, die sich durch das Verspeisen von Torten und Teilchen sowie das Austauschen von Urlaubserinnerungen bis gegen 16 Uhr hinziehen kann. Nach der Einnahme von ein oder mehreren Cognacs wird die Zeit bis zum Arbeitsende gegen 17 Uhr durch leichtere Büroarbeit überbrückt. In hektischeren Zeiten kann es natürlich sein, dass der Büroschluss sich einmal auch nach hinter verschiebt. Spätestens gegen 17 Uhr 15 spricht der Herausgeber jedoch ein Machtwort und schickt alle nach Hause.

5. Irrtum

Die Mitarbeiter der VORSICHT wären nicht beliebt

Diese Behauptung entstand aus der Vermutung, dass das Anpacken heißer Eisen , die Erstellung vernichtender Kritiken sowie die Verbreitung ätzender Glossen zu keiner besonderen Sympathie bei den betroffenen Personen in der Stadt führen kann.

Dieses ist mir völlig unverständlich. Die meisten Menschen haben längst erkannt, welch wichtiger Faktor die Presse mit ihren kritischen Berichten im gesellschaftlichen Leben einer Stadt spielt. Betrachten wir meinen Fall. Seit meiner kritischen Veröffentlichung über die Fahrpreisgestaltung der Deutschen Bahn AG besitze ich eine Gratisjahreskarte erster Klasse für ganz Europa sowie die wärmenden Zeilen des Bundesvorsitzenden der Bahn, in dem er sich persönlich für den aufrüttelnden Artikel bedankt und Besserung gelobt (siehe auch meinen Erlebnisbericht: "Wie ich die Einführung der BahnCard erreichte" im vorletzten Heft).

Ich bin gratis versichert (Bericht über das Versicherungsgewerbe), speise mit der ganzen Familie unentgeltlich in allen besseren Lokalen der Stadt ("Subventionen für die Gastronomie"), kaufe Autos mit riesigen Rabatten (Enthüllungsstory über Gebrauchtwagen), gehe kostenlos in alle Kinoveranstaltungen und werde zu allen Empfängen, Veranstaltungen und kulturellen Ereignissen der Stadt ("Geldverschwendung in Bad Kreuznach") regelmäßig eingeladen. Und seit meiner Berichte über die Post werden die Briefe noch schneller und korrekter befördert als früher. Dass die Müllabfuhr in Bad Kreuznach mir nach meinem harten Artikel über ihre Arbeit jede Weihnacht ein kleines Präsent in Form einer Weinkollektion bereitstellt, freut mich besonders.

6. Irrtum

Die VORSICHT hat Konkurrenz

Immer wieder gab es Zeiten, da der Leser seine VORSICHT plötzlich neben anderen Heften vorfand, die sich einige Zeit lang hielten, um dann wieder vom Markt zu verschwinden. "Aha, Konkurrenz" pflegte der ahnungslose Leser zu vermuten, ohne die genauen Hintergründe zu kennen.

Ich enthülle jetzt ein gutgehütetes Geheimnis, dass den Erfolg der VORSICHT schon seit 10 Jahren begleitet: Wir machen unsere Konkurrenz selber. Nicht alle, natürlich. Aber immer wieder wird von unserem voraussichtigen Herausgeber ein Planungsstab zusammengestellt, der mit großzügigem Geld ein Konkurrenzblatt erstellen soll. Unser Herausgeber macht dies, einfach um zu beweisen, dass kein Blatt in der Qualität an die VORSICHT heranreichen kann.

7. Irrtum

Die Autoren sind alle nur lokal bekannt.

Dies ist eines unserer wichtigsten Geheimnisse, die die Qualität und den hohen Standard der VORSICHT begründen. Den Flair des kommunalen Blattes mit gleichzeitig literarisch hochstehendem Niveau ist nur durchzuhalten, wenn nicht der objektive Blick des Lesers durch allzu bekannte Namen verstellt wird. Deswegen hat der Herausgeber immer die Politik betrieben, große Autoren nur unter Pseudonymen schreiben zu lassen. Der Simmel-Artikel durfte deswegen keinesfalls unter eigenem Namen erscheinen, genauso wenig, wie bekannt wurde, dass die Reihe über Alkoholmissbrauch, Kneipentouren und Mixgetränke in Wirklichkeit von Harald Juhnke verfasst worden ist.

Andererseits dürfen VORSICHT-Mitarbeiter niemals ihre großen literarischen Werke unter ihrem eigenen Namen veröffentlichen. Und bisher hat dies auch funktioniert. Wer weiß schon, daß Gaarder, Handke, Radatz und Rinser in Wirklichkeit... Weiter darf ich nicht gehen. Unglaublich? Aber sie sollten sich die Artikel und Kolumnen noch einmal genauer ansehen. Sie werden es beim Durchlesen spüren.

8. Irrtum

Satiren werden in letzter Minute geschrieben.

Irgendwelche von neidischen Anfällen geplagte Gestalten behaupten immer wieder, daß die in der VORSICHT veröffentlichten Satiren quasi in letzter Minute geschrieben werden, direkt in die Maschine und ohne große, umständliche Recherchen.

Das ist natürlich völliger Unsinn. Meine Geschichten liegen normalerweise schon Wochen vor dem Redaktionsschluss vor, sind tagelang gecheckt und gegengecheckt, umfangreich mit Hintergrundmaterial versehen sowie in verschiedenen Fassungen zur Begutachtung vorgelegt worden. Dies ist aus meinem Arbeitsethos heraus selbstverständlich, schließlich hat man ein Telefon, um unklare Sachverhalte jederzeit...

RIIING...RIIIING...RIIIIINGG...

"Hallo, äh?"

Wo bin ich eigentlich. Muss eingeschlafen sein. Wie spät ist es? 4 Uhr Nachts?? Was...???

"Wo bleibt deine blöde Glosse?! Du bist 3 Tage über den Termin, alle sind seit 15 Stunden hier versammelt und managen das Schlusslayout, und ich bin's leid. Diesmal kürze ich Dein Honorar um 30%, nicht nur um 20. Schwing die Hufe!!"

Ach ja. Jetzt aber schnell diesen Artikel geschrieben.

 

K. Marion


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Last updated 98/05/03