Alles Korrekt

(c) Klaus Marion 1997

erschienen in VorSicht


Mein Freund Rudi nahm einen großen Schluck seines frischgezapften Bieres und prostete uns zu.

"Zum Wohl! Herr Wirt, noch eine Runde, bitte!

Die Kneipe war noch nicht stark besucht, einzelne Gäste verteilten sich zwanglos im atmosphärisch dunkel gestalteten Raum und schlürften ihre Getränke. Bei uns am Tisch saß noch Herbert, seines Zeichens freischaffender Journalist und chronisch knapp bei Kasse. Heute jedoch machte er monetaristisch einen gelösten Eindruck.

"Die Runde geht auf mich" verkündete er überraschend. "Ich habe nämlich einen großartigen Artikel fertiggestellt. ‘Die soziale Lage in Deutschland’. Ein echter Reißer, in dem ich alle soziologischen Gruppen gnadenlos unter die Lupe nehme und meine Beobachtungen zu einem sinnigen Ganzen verdichte. Ein schonungsloser Report. 2000 brutto."

Rudi betrachtete ihn interessiert.

"Und worüber geht es da so?"

"Na ja, ich untersuche eben alle benachteiligten gesellschaftlichen Kreise unseres Landes. Da wären zum Beispiel mal die Ausländer..."

"Psschhhht!" Rudi bewegte dämpfend die Arme und verschoß eindringliche Blicke, während er sich verstohlen umsah.

"Das sagt man nicht! Es handelt sich dabei um ‘Personen mit nichtlokaler Staatsbürgerschaft’. PNS."

Wir starrten ihn beide an, was offensichtlich Rudis Mitleid weckte und ihn zu einer Erklärung veranlaßte.

"Das weiß doch jeder, daß mit dem Begriff Ausländer negative Assoziationen verbunden sind. Eine Beleidigung. Ein Tiefschlag in den Magen der sozialen Gleichberechtigung. Eine Ausgrenzung, die vermieden werden muß. Ihr könnt doch in keiner Diskussion von ‘Aus...’, von, naja, dem A-Wort reden. Das ist nicht. korrekt."

"Aha" Herberts Widerspruchsgeist war im jahrelangen Kampf mit Herausgebern stark verkümmert. "Nun denn, ich behandle auch noch den Einfluß von Verbrechern..."

"Personen mit reduziertem Sozialempfinden."

"... Verbrecher aus dem Ausland..."

"Personen mit nichtlokaler Staatsbürgerschaft und reduziertem Sozialempfinden!"

"...von der Mafia..."

"Personen mit nichtlokaler Staatsbürgerschaft und reduziertem Sozialempfinden in geographisch induzierten Wertegruppen! Mein Gott, Du willst diesen Artikel doch so nicht irgendwo anbieten! Glaub mir, ein Sturm der Entrüstung wird Dir aus allen fortschrittlichen Kreisen entgegenschlagen."

Herbert war jetzt ernsthaft verunsichert.

"Aber, ich dachte... Na ja, es geht ja sonst mehr um andere benachteiligte Gruppen. Also da wäre zum Beispiel die Prostitution in den Bahnhofsvierteln..

"Horizontaler Gewerbebetrieb in verkehrstechnisch zentral gelegenen Geographien! Herbert, Du mußt überkommene Begriffe vermeiden, die mit einseitig negativ besetzten Bezeichnungen belegt sind. Gib mal her!"

Er zog Herbert das Manuskript aus der Jackentasche und begann es zu studieren. Er erbleichte.

"Frauen!"

"Ja, ich meine, ist doch nicht verkehrt..."

"Frauen. Er fragt, ob ‘Frauen’ verkehrt ist! Negativ besetzt. ‘Personen mit weiblich präferiertem genetischen Hintergrund’ kann da die einzig korrekt Bezeichnung sein!"

Die Sache begann mich zu interessieren. "Und was ist mit Zwittern? Und Geschlechtsumgewandelten?"

Rudi erbleichte erneut. "Du hast völlig recht. Oh Gott, welch ein Lappsus. Personen mit weiblich präferiertm genetischen, sozialen, ethnologischen oder chirurgischem Hintergrund. Da haben wir noch mal Glück gehabt..."

"Und Zwerge?"

"Eindeutig Personen restringierter Größe..."

"Neger?"

"Ausländische Mitbürger variierender Hautfarbe"

"Eskimos?"

"Ausländische Mitbürger aus thermisch herabgesetzten Klimagebieten."

"Amerikaner?"

"Ausländische Mitbürger aus Nordamerika, die entweder a) Eingeboren sind , b) aus anderen Ethnologien eingewandert oder c) zu den schwarzafrikanisch, zwangsweise eingeschleppten Mitbürgern bzw Nachkommen gehören.

"Politessen?"

"Verwaltungsbeauftragte mit kontrollierendem Aufgabengebiet, besetzt mit Personen weiblich präferiertem genetischen, sozialen..."

"Schon verstanden! Mörder?"

"Person reduziertem Sozialempfinden mit Erfahrung in durchgeführter Inhumierung."

"Schläger?"

"Person mit starkem physischen Bewegungsdrang der oberen Extremitäten"

"Hooligans"

"Freunde der Beobachtung von sozial bindenden Spielgruppen mit starkem physischen Bewegungsdrang der oberen Extremitäten"

"Schwule? Lesben?"

"Sexuell unabhängig disponierende Individuen allerlei Geschlechts"

"Blondinen"

"Personen mit hell orientierter Haarfarbe und volksmündlich unkorrekt unterstelltem niedrigem Intelligenzquotienten."

"Mantafahrer?"

"Mantafahrer!"

Herbert ging die Kritik an seinem Schreibwerk langsam an die nervliche Verfassung.

"Aber gegen ‘perverse Kinderschänder’ ist ja wohl nichts einzuwenden, oder?"

"Ich bitte Dich, was heißt hier pervers? Das ist doch ein völlig willkürliche Definition. So eine Person ist doch einfach sexuell anders orientiert."

"An Kindern?"

"Nein, an Personen mit altersbedingtem reduziertem Längenwachstum"

"Ist ‘Alter‘ nicht auch negativ besetzt?"

"Ein sehr guter Einwand! Also ‘andersartig sexuell orientierte Personen mit Präferenz für aufgrund der chronologisch, biologischen Gegebenheiten in Ihrer physischen Ausdehnung begrenzter Personen!’ "

Herbert war jetzt nicht mehr zu bremsen.

"Weiß Du was, Du bist ein Idiot!"

"Keineswegs. Eine Person mit stark reduzierter psychischen Leistungsfähigkeit."

 

Dem ist nichts hinzuzufügen.

 

Klaus Marion


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Last updated 98/05/03