Das Geschenk

(c) Klaus Marion 1994

erschienen in VorSicht


Mein Chef hatte Geburtstag.

An sich ist diese kein weltbewegende Angelegenheit und gemeinhein keiner besonderen Aufmerksamkeit wert, zumal sich derartiges regelmäßig zu wiederholen pflegt. Leider hatte sich der Jubilar in diesem Jahr dazu entschlossen, ausgewählte Teile seiner Belegschaft an seinem Jubiläumstag teilhaben zu lassen.

Warum ich deswegen nervös sei, wollte meine Frau wissen.

Eine Einladung beim Chef, so erläutere ich meiner angetrauten Gattin, ist eine besondere Sache. Sie erfordert distinguiertes Auftreten, eine witzige und intelligente Konversation sowie Verbreitung eines nachhaltig positiven Eindrucks. Und man braucht ein Geschenk.

Das wäre ja wohl kein Problem, entgegnet meine Lebensgefährtin mit leicht verächtlicher Handbewegung, wir sollten eben alle zusammenlegen und gemeinsam ein passendes Präsent erwerben.

Leider hatten erste Umfragen im Kollegenkreis geschenktechnische Vorstellungen ergeben, die sich zumeist um den Bereich Deodorants, Fußschweißeinlegesohlen und extrastarke Mundspülungen mit Pfefferminzgeschmack zu drehen schienen. Da man gleichzeitig mich als potentiellen Überbringer des Geschenksets im Auge zu haben schien, war es höchste Zeit, mich klar von diesen offensichtlich gewerkschaftlich gesteuerten Umtrieben zu distanzieren. Nein, ein eigenes Geschenk soll es sein, eines, daß meinen Esprit, meinen Geschmack und meine zukünftigen Gehaltsvorstellungen klar zur Geltung bringen würde. Nur was?

"Kauf eine Blumenvase!"

Dieser Vorschlag seitens meiner Frau wurde von mir mit Entschiedenheit zurückgewiesen. Vasen, so erläuterte ich dezidiert, Vasen sind so ziemlich das Geschmack- und Einfaltsloseste, was man sich als Geschenk denken kann. Man stelle sich vor:

"Ah, der Herr Maier vom Betriebsrat! Ein Jahresabo für die Wiener Philharmoniker? Donnerwetter, wie geschmackvoll. Herr Müller vom Arbeitgeberverband. Was ist daß denn? Ein Kleintraktor zum Rasenmähen! Ich bin entzückt. Und der Herr Marion von der EDV? Eine Blumenvase? Mit einer Nelke drin? Sagen Sie mal, wie lange sind Sie eigentlich schon bei uns beschäftigt...?"

Nein, etwas anderes. Vielleicht ein Buch?

Eine sofortige Inspektion des hiesigen Buchhandels brachte kein schlüssiges Ergebnis. 'Der Landwirt in der Praxis' wurde ebenso verworfen wie 'Mein Recht als Arbeitnehmer'. Die von meiner Frau ins Spiel gebrachten 'religiösen Festlieder in 9 Jahrhunderten' sowie die Luxusausgabe einer Gedichtsammlung von Rainer Maria Rielke konnten leider beide keine Berücksichtigung finden, da der potentielle Beschenkte bekanntermaßen nur im fortgeschrittenen Stadium des Alkoholkonsums sich zu irgendwelchen Sangesleistungen versteigt, und er Gedichtformen höchstens bei besonders erfreulichen Entlassungen zu verwenden pflegt.

Da sich die '93 neuen Stellungen' im Geschenkschuber bei näherer Durchsicht nicht als ein Werk über den Arbeitsmarkt entpuppten, wurden auch diese wieder in das Regal zurückgestellt. Weil Arbeitgeber auch in 93,4% aller Romane stark negativ gezeichnet sind, war ich nicht bereit, ein Risiko in dieser Richtung einzugehen. Wir verließen den Hort des Buches in ungewöhnlich ratlosem Zustand.

Wir gingen im Geiste die verschiedenen Möglichkeiten durch. Ein Briefbeschwerer mußte wegen expliziter Vorhandenheit genauso ausscheiden wie ein ins Auge gefaßtes Werkzeugset mit 75 Teilen.

"Alkoholika?"

Bloß nicht. Dies könnte als Andeutung verstanden werden, daß man den Adressaten tatsächlich für einen Alkoholiker halte. Aus den gleichen Gründen mußten leider Flaschenöffner, Flacons und Kristallkaraffen aus dem näheren Kreis der Kandidaten unehrenhaft entlassen werden.

Das Problem schien ein Schwieriges zu sein. Ein eilends hinzugezogener Versandhauskatalog ließ beim Durchblättern keine echten Aha-Effekte entstehen. Kleidung kann nicht als besonders Geistreich gewertet werden, genausowenig wie Küchengeräte und diverse HiFi-Elektronik.

Eine originelle Videocassette schien zwar auf den ersten Blick als Idee ganz interessant, aber Titel der Art "Warum bringen wir nicht einfach den Chef um?" verbessern als Geburtstagsgeschenk die Arbeitsplatzsicherheit nicht wesentlich.

Rustikale Ölgemälde in Technikolor, Stehlampen und Fußabstreifer mußten aus existentiellen Geschmacksgründen ebenso ausscheiden wie ein Präservativset in 9 aktuellen Farben.

Langsam machte sich echte Panik breit. Während meine Frau dazu tendierte, einen Magendurchbruch mit notwendiger Amputation mehrerer Gliedmaßen vorzutäuschen, präferierte ich den Kauf eines Maserati auf Ratenzahlung und anschließende Flucht ins Ausland.

Schmuck, Brillianten, eine Rolex? Oder doch lieber ein Wohnwagen?

Geschwächt sank ich ins Bett. Ein hoffnungsloser Fall.

Die Feier war eigentlich ganz nett, vielleicht etwas steif, dafür aber mit interessanter Konversation. Ich habe ein Vase geschenkt. Eine plötzliche Eingebung. Klein, geschmackvoll, mit einer Nelke drin. Man weiß ja, was sich gehört.


Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Last updated 96/11/25