Das Geständnis

(c) Klaus Marion 1994

erschienen in VorSicht


Es gibt Erlebnisse, bei denen zu befürchten steht, daß sie einen für den Rest des irdischen Lebens prägen werden. Zu diesen bemerkenswerten Ereignissen gehört auch die dankbare Bemerkung eines weitläufig Bekannten, der mir als Reaktion auf meine letzte Satire (Fisch an der Nordsee) zu verstehen gab, daß ihn diese Warnung gerade noch rechtzeitig erreicht hat.

"Daß es da überhaupt kein Fleisch zu kaufen gibt, hätte ich nicht gedacht. Wir haben unseren Urlaub sicherheitshalber verlegt."

Aus diesem denkwürdigen Anlaß habe ich mich entschlossen, nach 5 Jahren der harten Arbeit im Dienste des knallharten Reportage- und Enthüllungsmagazin VORSICHT ein Geheimnis preiszugeben, daß bisher nur dem Herausgeber und mir bekannt war und dessen Geheimhaltung durch einen Schwur geschützt war, den zu brechen wochenlanges Ringen mit meinem Gewissen vorausgegangen war.

Doch es muß sein.

Die Kolumne, die in monatlichem Abstand meiner Feder zu entfliehen gelingt, ist eine ... SATIRE! Sie ist eine Übertreibung, eine Verzerrung der Realität, eine witzige Veränderung der Wahrheit.

Jetzt ist es also heraus. Mein Herausgeber wird toben dank dieses eklatanten Geheimnisverrats. Tausende Leser, die meine Zeilen als Lebenshilfe und Anleitung im harten Leben verstanden hatten, werden jetzt enttäuscht zurückzucken, mit Entsetzen diesen Betrug zur Kenntnis nehmen und in wilder Wut versuchen, meine Behausung mit rachegelüsteten Blicken zu stürmen.

Bevor ich also in den Untergrund fliehe, verschiedene Geständnisse, die die meisten treuen Leser überraschen werden:

Es gibt an der Norsee doch Fleisch zu kaufen. Ich gehe nicht jedes Wochenende auf wildfremde Polterabende, um mich hemmungslos zu betrinken. Die Anzahl der totgetrampelten Fahrgäste in der Frankfurter U-Bahn ist nicht so hoch, wie von mir behauptet. Ich bin doch in der Lage (sic!), moderne Photoapparate zu bedienen (Trotzdem herzlichen Dank an den besorgten Photohändler, der mir in dieser Richtung hilfreich unter die Arme greifen wollte). Und im weihnachtlichen Gedränge eines bekannten Bad Kreuznacher Warenhauses hat man mich nicht (ich wiederhole: nicht) dazu gezwungen, einen 10-er Pack Tangas (Rot) käuflich zu erwerben.

Satire ist, in jedem handelsüblichen Konversationslexikon nachzulesen, eine "Humoristisch bissige Form der Übertreibung in Prosaform, geeignet, um auf Mißstände hinzuweisen". Dies ist ein Hinweis, den ich besonders dem liebenswerten Kaiserslauterner Fußballfan widmen möchte, der meine Geschichte über Fußballfans in Zügen der Deutschen Bundesbahn völlig mißverstanden hatte und mir zu einem Besuch bei einem Zahnarzt meiner Wahl verhelfen wollte. Also Sportsfreund: Man beachte das Wort "Übertreibung", betrachte es sich genau von allen Seiten und versuche es zu begreifen.

Nun sind meine negativen Erlebnisse noch gar nichts im Vergleich zu denen, die mein Herausgeber in regelömäßigem Turnus zu erleiden hat. Dieser edle und durchgeistige Mensch ist entweder mit einer besonderen Leidensfähigkeit ausgestattet, oder er ist praktizierender Masochist. Kaum habe ich sein Büro mit der neuesten Ausgabe meiner schriftlich niedergelegten Gedanken betreten, beginnt sein Blick angstvoll zu flackern, bevor er sich vorsichtig erkundigt, worüber meine Satire denn wohl diesmal handeln wird.

"Heute mal nichts über Handelsvertreter, oder? Vielleicht etwas harmloses, über Heuschnupfen, oder? Sicher über Hundehaltung? Ja??" Sein Gesicht verzieht sich zu einem hoffnungsvollen Lächeln, daß jäh zusammenbricht, als er die neue Überschrift liest.

"Ausgerechnet über die Bundesbahn. Oh Gott, das gibt Ärger. ANDREAS, prüfe noch mal die Vorhängeschlösser! Und die Rollgitter!. Wo ist meine Lebensversicherungspolice?"

Ich habe wohl wieder das falsche Thema erwischt.

Es ist schon seltsam, wie gering die Fähigkeit zur humoristischen Selbstkritik verbreitet ist, je größer die Zahl der Personen ist, die sich in irgendeiner Weise angesprochen und ertappt fühlen.

Die Annalen der Zeitschrift VORSICHT sind angefüllt durch hektische Anrufe von Postlern, die als Gegendarstellung verbreiten möchten, daß am Schalter 15 von Mitarbeitern keinerlei Urlaubsbilder während bezahlter Arbeitszeit betrachtet werden.

Von Videotheken, die darauf hinweisen, daß bei Ihnen an der Theke herumlungernde Kraftprotze keinesfalls Manni heißen, und daß die Ausleihbedingungen nicht in der dunkelsten Ecke hängen. Versicherungsvertreterorganisationen fühlen sich dazu berufen, massiv geltend zu machen, daß sie keinerlei Lebensversicherungen mit gleitendem Brautschutz verkaufen und niemals in Kreuznacher Lokalen unschuldigen Opfern auf der Toilette auflauern (Ich möchte hier klarstellen: Sie haben recht!).

Eine Liste ohne Ende. Und dabei sind nicht einmal die Anrufer erwähnt, die offensichtlich aufgrund geistiger Verständnisschwierigkeiten ihre Drohungen in gutturale Laute mit Prügeldrohung kleiden.

Noch einmal: Es gibt keine Organisation, die mit Funksprechgeräten den Weg von Politessen verfolgt, in RTL werden nicht pausenlos Filme wie "Wollüstig, wild und willig" gezeigt, in deutschen Kinos wird man nicht unentwegt von 2 Meter großen Raufbolden belästigt, und auf dem Kreuznacher Jahrmarkt werden auch keine professionellen Wetten darüber veranstaltet, wer wann aus welcher Höhe der Fahrgeräte seine gerade eben genossene Pizza wieder der Umwelt zuführen wird.

Ich weiß, daß diese Enthüllung ein harten Schlag darstellt, der viele Dinge in einem neuen Licht beleuchtet. Doch mein Gewissen ließ mir keine andere Wahl.

Liebe Leser, ich hoffe, Ihr könnt mir verzeihen.


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Last updated 96/11/25