Der Kinobesuch

(c) Klaus Marion 1991

erschienen in VorSicht


Das moderne Kino ist eine nette Sache. Für den Preis einer durchschnittlichen Pizza erhält man eine hübsche Karte mit Computeraufdruck, die einen dazu berechtigt, einen blutrünstigen Krimi aus der 7. Reihe auf Platz 15 halblinks zu genießen. Kein übles Gedränge mehr vor noch verschlossenen Kinotüren, kein brutales Niedertrampeln weniger beherzter Gestalten auf der Jagd nach einem leidlich guten Platz. Nein, hoch erhobenen Hauptes betritt man kurz vor Filmbeginn den Filmpalast und steuert gemessenen Schrittes auf den reservierten Platz zu, läßt sich gemütlich in seinen Sitz sinken und sieht - nichts.

Zumindest nichts von der Leinwand. Sitzt doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Gestalt mit den meisten Zentimetern im Sitzen genau einen Platz vor einem, was zwar einen hübschen Blick auf seine modische Halbglatze ermöglicht, sonst aber nichts.

In früheren Zeiten, bevor der technische Fortschritt die Kinoindustrie erreichte, hätte ich mich seufzend ein paar Plätze weiter weg begeben, um dem Leuchtturm in menschlicher Gestalt aus dem Weg zu gehen. Nichts da, diese Fluchtmöglichkeit bleibt einem nun versperrt. Gekettet an einen Sitz, der mir von einer lächerlichen Kinokarte vorgeschrieben wird.

Natürlich ist nicht immer der Blick nach vorne versperrt. In ca 20 % aller Fälle ist sogar ein Blickkontakt zur Leinwand möglich, so daß einem ungestörten Filmgenuß nichts mehr im Wege steht. Leider befindet sich jetzt unweigerlich in der Reihe hinter einem das typische Pärchen, bei dem er ihr während des gesamten Filmes ausführlich die Hamdlung erklärt, in einer Lautstärke, die die geflüsterten Stellen des Filmes mühelos übertönt. Möglicherweise wäre auch das noch auszuhalten, wäre nicht hinten links der Typ, der den ganzen Film über knisternd in seiner Mammutpackung Popcorn herumwühlen muß.

Es ist zum verzweifeln: Man sitzt auf seinem zugeteilten Platz, ausnahmsweise ist die Sicht frei, das Kino nur mäßig besetzt, und dann betreten in letzter Minute 4 bis 5 haarige Individuen, in Ledermonturen und erkennbarem Intelligenzquotienten unter 25, dafür aber mit Fahrradketten bewaffnet und mehreren Sechserpacks unterm Arm, den Saal. Ich bemerke entsetzt, das rechts von mir noch einige Plätze verdächtig frei sind. Jetzt, jetzt blickt der kleiderschrankgroße Anführer der affenartigen Gestalten mit verkniffenem Gesicht auf die Karten. Er hält sie erkennbar verkehrt herum, vermutlich hat er erst vor wenigen Tagen lesen gelernt. Da kommt ihm sein stiernackiger Freund zu Hilfe, sie blicken suchend umher, ich setze noch ein kurzes Hilfsgebet in himmlische Gefilde ab, da pflanzen sie sich bereits neben mich.

Daß der Kerl mit den schlimmsten Schweißfüßen der letzten 2 Weltkriege seinen Platz direkt neben mir findet, braucht wohl genauso wenig erwähnt zu werden wie die merkwürdige Tatsache, daß der mir zugeteilte Sitz meist aussieht, als ob ein Schweinekoben einen Betriebsausflug gemacht hätte: Kaugummi, nasse Bierflecken und Schokoladenstreusel. Natürlich sind die Plätze links und rechts sauber - aber da sitzen ja bereits Mister Fußschweiß und die Hells Angels.

Wagemutig könnte man natürlich mit der Wahrscheinlichkeit rechnen und sich einfach einen anderen Sitzplatz ergattern, in der Hoffnung, er möge zu einer nicht gekauften Platzkarte gehören. Leider ist in solchen Fällen die Wahrscheinlichkeit grundsätzlich gegen einen, und es gibt nichts peinlicheres, als im Dunkeln unter den erbosten Blicken der anderen Zuschauer wieder seinen alten Sitzplatz zu suchen - und dann den stinkigen Rockern erläutern zu müssen, daß man keineswegs wegen Ihnen vorher so plötzlich den Ort gewechselt hat.

Die einzige Chance besteht darin, schon an der Kinokasse einen strategisch günstigen Platz zu ordern. So sind Plätze am Rand vorteilhaft, weil sie nur einen direkten Nebenmann erlauben, können aber rein optisch nicht voll befriedigen.

Plätze in der letzten Reihe schützen vor Dauerrednern im Rücken, lassen aber allen Subjekten über 2 Meter Körpergröße genügend Möglichkeiten, sich in der direkten Sichtlinie vor einem niederzulassen.

Was solls. So stehe ich also an der Kinokasse, die Dame im Kabuff betrachtet mit milder Ungeduld meinen stieren Blick auf den mit Kreuzen und Nullen gesprenkelten Bildschirm.

Und während hinter mir in der Schlange Lynchjustiz in ernsthafte Erwägung gezogen wird, weiß ich noch immer nicht, was tun. Den Mitte links, den Sitz in der rechten Ecke oder der Platz vorne?.

Ich treffe eine Entscheidung:

"Mitte links bitte!"

Ich lasse mich beklommen auf meinem Sitz nieder. Mein Nachbar rechts hat Mundgeruch und bohrt in der Nase, linkerhand trohnt ein Volltrunkener und lallt Sinnloses dem Film entgegen, und hinter mir räkeln sich Bundeswehreservisten und drohen allen Brillenträgern mit Prügel, aus Prinzip.

Nur der Platz vor mir ist frei.

Ich habe noch einmal Glück gehabt.


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Last updated 96/11/28