Der Plan

(c) Klaus Marion 1996

erschienen in VorSicht


Der Anlaß für nachfolgende Enthüllungsreportage war eher zufällig. Ein an mich von einem erbosten Bekannten geschickter Brief wurde von diesem auf dem Umschlag noch mit der Bemerkung "Geh doch hin, wo der Pfeffer wächst!" versehen. Dies führte dazu, daß von einem Postbeamten meine korrekte Anchrift durchgestrichen wurde, und unter völliger Verkennung der Gewürzanbaugebiete in "Hauptstadt Namibia" verbessert wurde.

Glücklicherweise wurde jedoch zu einem späteren Zeitpunkt dies von einem anderen Postmitarbeiter bemerkt, botanisch korrekt in "Madagaskar" geändert und an die dortige deutsche Botschaft zugestellt. Nach eingehenden Recherchen des Suchdienstes des Roten Kreuz kam der Brief wieder zurück und erreichte den Absender mit der Bemerkung: "Adressat vermutlich verstorben - neue Adresse unbekannt".

Mein persönliches Erscheinen bei der hießigen Niederlassung der Post führte mich in das Büro des zuständigen Herren für Beschwerden aller Art.

Mit verständnisvoller Miene hörte er meine Beschwerde an. Lediglich die Andeutung, die skandalöse Angelegenheit an ein deutsches Nachrichtenmagazin weiterzugeben, veranlaßten ihn, die Türe zu schließen, etwas näher heranzurücken und mit gedämpfter Stimme sich vertrauensvoll an mich zu wenden:

"Können Sie schweigen?" Wahrheitsgemäß bestätigte ich diese grundsätzliche Fähigkeit, worauf der Herr noch näher heranrückte.

"Sie sind ein Opfer unserer GEM!"

"GEM?"

"Ja. GEM. Geheimoperation: Erweckt Mitleid."

"Bitte?" Ich war verwirrt.

"Sie wissen doch, daß Teile der Post dem Wettbewerb ausgesetzt werden sollen. Das ist hart. Ich meine, wie sollen wir da bestehen, wenn hochgerüstete Privatbetriebe uns plötzlich Konkurenz machen? Wir haben diese Entwicklung vorausgesehen und vor 10 Jahren GEM entworfen. Der Plan ist, die Post als derart dumm und tölpelhaft hinzustellen, daß keiner unser Konkurennten uns ernst nimmt. Und wenn die dann da sind, dann WUMMM, steigern wir mit einem Mal unseren Service, unser Angebot, unsere Leistungen etc etc! Da sehen die dann alt aus, und wir überrollen den Markt und sind wieder allein auf weiter Flur."

"Soll das heißen...?"

"Ja! Wir haben in jeder Poststelle einen GEM-Beauftragten, der nach Ablegung eines internen Schweigegelübdes die Aktionen organisiert. Zum Beispiel Ihr Brief." Er blätterte in einer als "GEHEIM" gekennzeichneten Akte.

"Ja?"

"Der wurde aufgrund einer 3-prozentigen Stichprobe ausgewählt. Das sind die Sendungen, die beliebig herausgezogen werden, mit einem "Empfänger verstorben", "Nicht ermittelbar" oder "unbekannt" versehen werden und kommentarlos zurückgehen. Obwohl die Adresse natürlich korrekt ist."

"Ach, deswegen"

"Jaha, wir sind clever. Normalerweise würde so etwas nie vorkommen, der Postbote kennt schließlich sein Gebiet. Nehmen wir doch mal die Zeitschriften."

"Sie meinen die Zeitschriften, die schon gelesen ankommen, bei denen die Werbeeinlagen und Gewinnspiele fehlen und wo manchmal das Kreuzworträtsel gelöst ist?"

"Genau. Die meisten denken, das würde von den Leuten auf dem Postamt gemacht werden. Unsinn! Wir haben Spezialisten, die Zeitschriften in Sekundenschnelle in benützten Zustand versetzen können und Seiten mit unanständigen Fotos erkennen und besonders zerknittern. Hören Sie das?"

Von einem Raum über uns kamen unregelmäßig seltsame knitternde und reißende Geräusche.

"Dort werden Briefe mit Transportspuren versehen. Wissen Sie, unsere Mitarbeiter arbeiten derartig effizient, daß eine Beschädigung von Sendungen fast unmöglich ist. Deswegen werden auf der Anknitterungsstelle 10% der Briefe durch ein vollelektronisches System aussortiert und bearbeitet. Insbesondere Sendungen mit der Aufschrift "Nicht knicken" oder "Achtung Photos" werden durch eine Spezialhydraulik gefaltet. "Vorsicht Glas" führt zu einem mehrmaligen Fall der Sendung aus exakt 2,80 Meter Höhe auf eine Granitplatte von 20 cm Stärke. Sendungen, deren Aussehen auf Schriften und Bilder äußerst zweifelhaften Inhalts schließen lassen, werden so beschädigt, daß deren Inhalt für die Nachbarn sichtbar auf dem Weg zum Briefkasten herausfallen kann oder in andere Briefkästen eingeworfen wird."

"Und die Brieflaufzeiten?"

"Genau. Normalerweise würde uns unsere überlegene Logistik erlauben, Sendungen binnen 12 Stunden zuzustellen. Aber sollen wir unsere zukünftigen Konkurenten vorwarnen? So werden grundsätzlich alle Briefe ersteinmal zwischengelagert, wobei 20 % in besondere Aufbewahrungsboxen kommen, wo sie noch einmal 2 oder 3 Tage lagern, bis sie für die Zustellung freigegeben werden. Die Boxen sind übrigens mit Schmutz durchsetzt, um besondere Transportspuren zu erzeugen."

"Und die Briefträger?"

"Es gibt klare Anweisung, bei Päckchen und Paketen niemals bis zum Öffnen der Haustüre zu warten, sondern nach dem Klingeln sofort das Kärtchen "Abholen nicht vor Übermorgen" einzuwerfen und blitzschnell zu verschwinden. Des weiteren wird verlangt, daß von Seiten der Briefträger keinerlei Service oder Hilfsbereitschaft gezeigt wird. Leider, muß ich sagen, sind wir in diesem Bereich aufgrund von unerklärlichen Widerständen noch bei weitem nicht so perfekt, wie wir sein sollten. Aber wir arbeiten daran."

"Soll das heißen, daß auch die Schalterbeamten...?"

"Jawoll, alle eingeweiht. Eigentlich haben wir für jeden Schalten ausreichend leistungsbereites Personal. Aber dann gäbe es ja keine Wartezeiten. Also gibt es einen Plan, daß kein Schalter länger als 5 Minuten hintereinander besetzt bleiben darf. Dann muß der Mitarbeiter auf die Toilette oder "irgendwas holen". Bei den Paketen übrigens haben wir einen ganz besonderen Dreh, um die Leute zum Verzweifeln zu bringen. Wir haben eine gebogene Spezialmeßlatte, die sich variabel anpassen läßt. Egal, was der Kunde zu Hause gemessen hat, mit dieser Latte ist das Paket oder Päckchen exakt 0,5 cm zu breit oder zu hoch und kostet deswegen 5,60 DM mehr Porto."

Er beugte sich noch näher vor und zwinkerte mir zu:

"Die Formulare für den Auslandversand (dreifach, mit Zollerklärung in den 4 wichtigsten europäischen Sprachen sowie in Hocharabisch für Sendungen in den mittleren Osten) wurden von einem unserer Spezialisten entwickelt. Kaum ausfüllbar, völlig unverständlich und absolut unnötig."

"Jetzt sagen Sie nur, die Portopreise sind auch..."

"Natürlich! 1 DM für einen Brief! Ist doch lächerlich. Intern könnten wir das für 20 Pfennig machen, aber das sähe ja aus, als ob wir wirklich rationell und effektiv arbeiten. Nene, deswegen erhöhen wir ja jetzt schon wieder. Unser neuestes Projekt ist übrigens eine Spezialprogrammierung für unsere Briefmarkenautomaten: Wann immer Sie kommen, die Briefmarken, die Sie brauchen, werden als "Leer" ausgewiesen. Ist natürlich völliger Quatsch, warum sollten wir die denn nicht ständig auffüllen?"

Er blickte mir ernst in die Augen.

"So, jetzt wissen Sie die Wahrheit. Wir rüsten uns damit für die Zukunft. Also: Bitte kein Wort an den SPIEGEL!"

Ich starrte ihn lange an.

"Sie wollen mir also erzählen, daß wäre alles geplant und beabsichtigt?"

"Natürlich! Oder können Sie sich ernsthaft vorstellen, daß ein Unternehmen tatsächlich solche Mängel aufweisen könnte?"


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Last updated 96/11/25