Die Brücke

(c) Klaus Marion 1996

erschienen in VorSicht


Ein Märchen aus 1000 und 1 Stadt

Es war einmal ein Stadt, die da hieß B’ad Kreuzn’ach. Die Stadt war nicht groß, gewißlich nicht, aber sie war auch nicht ganz klein.

Diese Stadt besaß gar viele kleinere Teile, die da genannt wurden Stadtviertel, und jedes war von einer anderen Art. Da gab es welche, in der wohnten einfache Leute, und andere, wo hausten die besseren Teile der Stadt, gelegen an und auf einem Berge.

Und da gab es noch ein Viertel mit Namen Agnesienberg, dessen Lage war etwas ungünstig, denn es wurde begrenzt auf der einen Seite von einem Bergrücken, auf dessen Gipfel thronte eine Burg mit dem Namen eines nachtaktiven Vogels, in dessen Gemäuer gar manches ausschweifende Gelage stattzufinden pflegte.

Und auf der anderen Seite war da ein Flüßlein klein , daß sich nannte Ellerbach, und auf der dritten Seite war ein großer Wald, und das Ganze war begrenzet wie in einem großen Dreieck.

Jetzt begab es sich aber, daß nur eine alte Brücke führte über das Bächlein in Richtung des Marktfleckens der Stadt, und diese Brücke nannte sich Ziegelbrücke. Die Bewohner des Viertels wunderten sich gar sehr über diesen Namen, denn von Ziegeln war gar nichts zu sehen, hatten doch die gelehrten Herren von der Straßenbauverwaltung gegossen Teer darüber, in großen Kübeln, so daß nur einmal ein Anwohner der historischen Bauweis’ der Brücke ansichtig wurde, nähmlich beim herunterfallen im betrunkenen Zustande, und daß auch nur kurz, bevor er gar elendlich ertrank.

Den Bürgern des Viertels war das historische Werk der Brücke auch ziemlich egal, war sie doch gar sehr schmal gebaut, so daß kaum zwei motorisierte Kutschen aneinander vorbei kamen, und war ihre Verbindung zur Straße durch zwei rechte Winkel realisieret, so daß jeder Bus oder Lastkraftwagen, der sie passieren wollte, durch schreckliches Rangieren den Verkehr behinderte. Und so jammerte es gar jedem, die Lastwagen, Mähdrescher und was des modernen Zeugs mehr war, die da gehörten eines bäuerlichen Lehrinstitutes, daß da genannt wurde DEU’LA, sich über die Brücke quälen zu sehen.

Nur die Bürger, die da konnten sich bewegen des Fußes, waren halbwegs froh, war doch der Bürgersteig auf der Brücke abgesetzt sehr hoch von der Straße, und so bestand wenig Gefahr, daß man wurde gequetscht von Lastkraftwagen elendlich.

Zwar gab es noch einen Kutschweg aus dem Viertel heraus, doch dieser war eng, schmal, führte durch dunkle Wälder und endete weit weg, zwischen Orten wie Hüffelsheim und Rüdesheim, und war gar kaum befahrbar, schon gar nicht in zwei Richtungen gleichzeitiglich.

So jammerten die Bürger schon viele Jahr, doch da da wohnten viele Bürger mit gar geringem Gelde, in Häusern die sich nannten auch Sozial, ward ihre Stimme nicht so weit gehört in dem Ratstuben der Stadt, und sie hatten sich abgefunden mit ihrer Situation bedauerlich.

Doch da kamen eines Tages die Büttel der Stadt und sprachen wie folgt:

"Höret, die Brücke brechet bald ein unter eurem Gesäß, und so ward beschlossen, sie zu erneuern mit gar vielen Goldstücken, bevor passieret ein Unglück schauerlich."

Da hob sich an ein großer Jubel unter den Bewohnern des Viertels, und man sprach aufgeregt zu den Bütteln:

"Ein neue Brücke, wie wunderbar. Und sie wird gebaut jetzt ohne Winkel, breit und benutzbar, wie es einer aufrechten Stadt geziemt?"

Da räusperten sich die Büttel gar vernehmlich und schüttelten dunkel die Köpfe.

"So ist es nicht, Ihr Bürger. Denn wir haben gesprochen mit den Herren des Herzogs, die da wachen über alte Brücken, und die sprachen: ‘Ist auch der Kern der edlen Brücke nicht sichtbar, so ist sie ein historisch Dokument und muß geschützt werden. Reparieret die Brücke, und übergießet sie anschließend wieder mit Teer, auf daß das Denkmal in ihrem Innern bestehen bleibe!’ Und so wird getan."

Da kratzte sich ein Bürger nachdenklich am Kopfe und sprach mit fragender Stimm’:

"Ja, aber so eine Brücke zu reparieren, das dauere doch. Wie lange wollt Ihr sie denn sperren?"

Die Büttel murmelten verschiedenes, das da klang wie ‘unabdingliche Notwendigkeit, man muß Opfer bringen etc’, hoben an die Stimme , sagten "Es dauere ein halbes Jahr, und gehet halt solang zu Fuß."

Darufhin verschwanden sie und ließen die Bürger verwirrt zurück.

Und da hob an ein großes Jammern unter den Bürgern des Viertels. Denn all diese, die da hatten keine eigene Kutsche, und wahren angewiesen auf die Großkutsche BUS, die jammerte es gar sehr. "Wie sollen wir kommen in die Stadt und zurück, beladen schwer?" Und die Alten jammerten, und die Behinderten waren entsetzt und verzweifelten gar immerfort.

Und die Arbeiter, die da fuhren zur Arbeit mit Hilfe der Großkutsche BUS zu schonen die Umwelt, die runzelten die Stirn und sprachen gar unflätige Worte über den Zustand in den Köpfen des großen Magistrats.

Und dann kamen da die Herren der DEULA und viele mehr, die fragten bescheidentlich, ob da noch wären alles Geschirr im Schrank von verschiedenen Herren, dergleichen der Besitzer der Burgherberge, und die Schausteller, die da lagerten ihre Gefährte in dem Viertel.

Das Geschrei wurde gar stark und groß, und die Schreiber der täglichen Chroniken wurden aufmerksam auf dieses merkwürdig Gebar und berichteten gar inniglich. Und jetzt wurde sogar die Gestalt des Stadtjokus aufmerksam auf die Affair, und ward bereit zu zeigen sich mitsamt seiner STATT-Gilde und zu mischen ein in die Katastroph’, zu mehren den eigenen Ruhm.

Und als der Lärm wurde gar zu laut, da berieten sich die Herren des Magistrates nach dem Essen, und sprachen wie folgt:

"Warum sagt uns denn keiner, daß da wohnen 2000 Menschen in dem Viertel? Und was plärren Sie denn so elendlich, bisher waren sie doch auch ganz stille? Nun denn, wir müssen bauen wohl ein Brücklein provisorisch, zu erlauben die Fahrt in eine Richtung. Schreiber, reiche uns die Karten."

Und sie beugten ihre gelehrten Häupter über die Karten und schüttelten sie bedenklich.

"Wir können bauen Brücke mitten durch Spielplatz, für viel Goldstücke. Am besten, wir lassen sie dann stehen dauerhaft, der Spielplatz ist sowieso nicht von unseren Kindern benutzt. Die Brücke wird aber haben nur eine Spur, und für Lastwagen und Busse kaum benutzbar, aber das solle nichts machen für ein halbes Jahre. Oder wir bauen hier oder dort, aber wir haben nicht gepachtet Grundstücke, um kurzfristig zu bauen die Verbindung."

Und sie sprachen Rat in Versammlung der Bürger, und die Bürger waren gar impertinent und wollten wissen, warum nicht geplant eine Hilfsbrücklein zuerst, bevor machen Verträge mit Brief und Siegel für Brücksanierung, und die Ratsherren sprachen streng:

"Schweiget stille, impertinent Volk. Was wisset Ihr schon von der Feinheit der Planung der Statte, und nach §§ 564 ff der Satzung der Statte haltet jetzt endlich den Schnabel, wir werden schon eine Lösung finden. Vielleicht. Und seiet froh, daß wir restaurieren das Brücklein überhaupt. Und zudem werden wir absenken die Höhe des Bürgersteigs, so daß können fahren die Lastkraftwagen und Busse quer über den Gehweg auf dem Brücklein, zu haben mehr Platz." Und als da fragte ein Frau aus dem Volke, was denn wäre mit den Kindern auf dem Weg zur Schule, sprach gelehrt der Mann des Magistrats: "Da müssen die halt aufpassen selber!"

Und da ginget der Chronist dieser Zeilen nach Hause, legte sich in sein Bette und träumte. Er träumte, daß da brechet die Brücke einfach zusammen des Nachts, man kehret die Trümmer beiseite und baue einfach eine Neue, vernünftig und breit genug.

Doch leider war es nur ein Traum.

 

Klaus Marion

 


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Last updated 98/05/03