Alles Korrekt

(c) Klaus Marion 1994

erschienen Mini&Co


"Was ich mache? Ich bin Kindergartenplatzberater"

Der Mann neben mir an der Theke trank zur Bekräftigung noch einen großen Schluck aus seinem Glas. Ich musterte ihn mäßig interessiert.

"Sie arbeiten also bei der Stadtverwaltung?"

"Stadtverwaltung? Soll das ein Witz sein. Ich bin Freiberufler! Ich besorge Kindergartenplätze."

Mein Gesicht mußte einen sehr zweifelnden Charakter angenommen haben.

"Sie halten das für unnötig? Wie wollen Sie ihren Sohn denn in einen Kindergarten bekommen, hm??"

"Ja nun, ich suche mir einen Kindergarten aus, melde ihn an, und dann bekommt er..."

Das brüllende Gelächter meines Sitznachbarn rief in der Umgebung kein besonderes Interesse hervor, lediglich sein Herumwälzen auf dem Boden und die gelegentlichen spontanen Zuckungen am ganzen Körper ließen einige interessierte Blicke entstehen. "Huhuhuhahahahaaa! Anmelden... hahahaha... aussuchen..."

"Also bitte, ja. Schließlich gibt es ab Herbst eine Garantie auf einen Kindergartenplatz, und damit..."

Der Kindergartenplatzberater, der sich gerade mit Mühe an seinem Stuhl nach oben gearbeitet hatte, brach erneut zusammen. "Bruhahahahaha, ich... hahahahhahihihihaha... eine... Garantie huahahaha"

Herbert der Wirt kam hinter dem Tresen hervor und wies seinen Gast darauf hin, daß das Beißen in die Strohmatten auf dem Boden den Gästen nur in Ausnahmefällen erlaubt sei.

Entschuldigend rappelte sich Alfons vom Boden auf.

"Verzeihen Sie meine Reaktion. Aber... das ist wirklich zu komisch. Eine Garantie für einen Kindergartenplatz. So was..."

"Aber es steht im Gesetz!"

"Natürlich steht es im Gesetz" meinte Alfons beruhigend, "aber es steht nicht drin, ab welchem Alter. Die Planungen gehen dahingehend, daß jedes 5-jährige Kind einen Kindergartenplatz erhalten soll."

"Und die jüngeren Kinder?"

"Man kann nicht alles haben. Ursprünglich sollte die Garantie auf 6 bis 7-jährige Kinder lauten. Das wurde aber durch energische Intervention des Ministerpräsidenten verhindert. Zudem steht nicht drin, wie dieser Platz aussehen soll. Da sind sogenannte Time-Sharing-Modelle im Gespräch.

"Bitte?"

"Time-Sharing. Aufteilen der Kinder in verschiedene Zeitgruppen. 1. Gruppe von 8.00 bis 10.00, 2. Gruppe von 10.00 bis 12.00 usw. Dazu der Einsatz von Nachtgruppen..."

"Da schlafen doch die Kinder"

"Umso besser, das reduziert den Bedarf an ausgebildeten Kinderbetreuern."

Ich war verwirrt. "Aber in Bad Kreuznach gibt es das noch nicht, oder?"

"Nein. Deswegen bin ich ja da. Ich berate Eltern bei der Suche nach passenden Plätzen. Was haben Sie denn bisher unternommen?"

"Nun, das übliche: Wir haben ihn im Alter von 6 Monaten angemeldet..."

"Da wird man Ihnen im Kindergarten jetzt sagen: Völlig unnötig, nach den neusten Regelungen geht es nicht mehr nach dem Anmeldetermin."

"Ach so, also hätte ich ihn gar nicht so früh anmelden müssen."

"Dann hätte man Ihnen gesagt: Tut uns leid, aber Sie haben ihn so spät angemeldet, daß wir Sie leider nicht mehr berücksichtigen können..."

"???"

Alfons rückte vertrauensvoll näher heran.

"Das Problem ist einfach, daß die Kindergartenleiter sich nicht so gerne festlegen lassen. Früher war das einfach. Da hat jeder Kindergarten sein eigenes Zulassungssystem gehabt. Jetzt müssen die Kindergärten sich unter Zwang miteinander abstimmen. Das gefällt niemandem. Da funktionieren die alten Quotenregelungen nicht mehr!"

"Quoten für die Jahrgänge?"

"Nach Berufen. 10 % Arztkinder, 15 % freie Akademiker, 10 % konfessionell standfeste Gemeindeglieder etc. Das ist aus Gründen der Agressionshemmung unbedingt notwendig!"

"Wegen den Kindern?"

"Nein. Wegen den Eltern. Was glauben Sie, was so ein Akademiker für einen Stunk machen kann, wenn Tochter oder Sohn keinen Kindergartenplatz bekommen. Die sind ekelhaft. Die machen Terror. Die kennen jeden, die schreiben sogar dem Regierungspräsidenten einen Brief. Oder dem Bischof! Reine Notwehr also. Deswegen: beim Anmelden beruflich etwas hm erhöhen. Müllmann ist bei weitem nicht so aussagekräftig wie 'Gruppenleiter der mobilen Entsorgungstruppe des kommunalen integrierten Abfallbeseitungssystems'. Klar? Noch zwei Bier bitte!"

"Ich dachte, gerade sozial schlecht gestellte Elternhäuser könnten mit einer Bevorzugung rechnen?"

"Natürlich. Aber auch da keine Bescheidenheit. Wenn schon bedürftig, dann aber richtig: Alleinerziehende schwerbeschädigte Mutter (95%), Halbvater verschollen, 3 Großmütter zu versorgen, zwei Berufe ausübend. 10 Geschwister. Leider tendieren Kindergartenleiter dazu, derartige Fälle in die Kindergärten abzuschieben, die sich nicht wehren können. Nämlich die städtischen. Dort sammeln sich dann die echten schwierigen Fälle."

"Okay, ich habs verstanden. Was soll man also tun?"

"Erste Regel: Niemals abwimmeln lassen. Kindergärten neigen dazu, die Chancen auf eine Aufnahme so schwammig wie möglich zu darzustellen. Bloß nicht festlegen, um möglichst viel Manöverierspielraum zu haben. Dazu kommen Aufnahmekriterien, die so kompliziert sind, daß sie von keinen Eltern nachvollzogen werden können. Von kommunalen Aufsichtsbeamten gar nicht zu reden. Typischer Fall: 'Wir nehmen neue Kinder nur, wenn sie im Jahr 89 als erste 6 Kinder geboren wurden, oder 1990 als die letzten 7 Kinder, oder 1991 als erste 6 Kinder geboren wurden, aber nicht im April und am 15. jeden Monats.'"

Ich dachte darüber nach. "Warum 1990 7 Kinder?"

"Weil die Tochter eines Stadtrates im Aufsichtsgremium des Kindergartens das Kriterium erfüllt."

"Ach so! Was gibt es noch für Möglichkeiten?"

"Bestechung. Die Spende von 800 Dachziegeln oder wahlweise 3000 DM für die Kirchturmrenovierung wirken oft erstaunliche Wunder."

"3000 DM?? Ich will doch nur einen Platz und keinen ganzen Kindergarten kaufen!"

"Kindergarten kaufen... Interessante Idee. Muß ich mir aufschreiben!" Er machte sich Notizen.

"Tja, haben Sie Ihren Sohn in mehreren Kindergärten angemeldet?"

"Natürlich"

"Ganz schlecht. Da die Kindergärten jetzt die Anmeldungen gegeneinander vergleichen, landen Sie eventuell in einem Kindergarten, in den Sie gar nicht wollten."

"Also nur in einem Kindergarten anmelden?"

"Dann kriegen Sie gar keinen Platz. Besser ist es, Sie erwerben sich zusätzliche Qualifikationen. Sind Sie regelmäßiger Kirchgänger?"

"Nun..."

"Dann sollten Sie ersatzweise freiwillige niedere Arbeiten bei der Renovierung von Kindergärten in Erwägung ziehen. Mitarbeit im kommunalen Aufsichtsgremium für Kindergartenverteilung?"

"Nein, also..."

"Dann gibt es für Sie nur eine Lösung:"

"Ja?"

"Sie gründen selber einen."

 

Klaus Marion


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Last updated 98/05/03