Entsorgung

(c) Klaus Marion 1994

erschienen 1/94 in VorSicht


Seit einigen Monaten ist die Zeit schamloser Müllproduktion auch in Bad Kreuznach vorbei. Wo früher der Abfall gnadenlos in einer Tonne gesammelt und von der Müllabfuhr kommentarlos zur nächsten Müllkippe gekarrt wurde, verteilt der umweltbewußte Bürger anhand mehrseitiger Regeln die Überreste des Konsums sorgsam in verschiedene Behältnisse und Beutel, die in unregelmäßigen Abständen von finster dreinblickenden Gestalten vor der Abholung kontrolliert und im Zweifelsfalle durch Kennzeichnung mit roten Zetteln von der Mitnahme ausgeschlossen werden.

So verbringt man gar manchen geselligen Abend mit interessanten Ratespielen und diffizilen Fragestellungen: Wenn auf der Umverpackung der grüne Punkt zu erkennen ist, gilt das auch für die Verpackungsschnipsel im Inneren? Oder sind die unentsorgbarer Restmüll? Oder sind sie wegen hoher Verrottbarkeit gar Biomüll für die Kompostierung? Fragen über Fragen.

Nur der Sperrmüll galt bis jetzt noch als ein Hort gedanklich anspruchslosem Entsorgen. Postkarte genügt, und der Kram wurde abgeholt, von den netten Männern von der Müllabfuhr.

Doch dieses goldene Zeitalter ist vorbei. Um "Unklarheiten der Abfallart im vorhinein auszuschließen, sind Abholaufträge an die Stadtverwaltung per Telefon durchzuführen", wie es eine hiesige Tageszeitung treffend zu formulieren wußte.

 

"Ja, hallo, Stadtverwaltung? Ja, ich habe da ein paar Sachen, Sperrmüll, den könnten Sie bitte abholen, nächsten Dienstag am besten..."

"Moment, Moment, nicht so eilig. Sperrmüll - Sperrmüll gibt es nicht. Es gibt nur Restwertstoffe in verschiedenen Volumeneinheiten. Müllvermeidung ist unser Ziel, Müllverwertung unsere Pflicht. Worum handelt es sich im Einzelnen?"

"Nun, halt so ein paar alte Wohnzimmersessel, Ikea. Nichts wildes."

"Aha, also offensichtlich Volumenstoffe der Klasse 1. Beträgt das singuläre Sesselvolumen mehr als einen Kubikmeter?"

"Nun, das weiß ich nicht so genau..."

"Nach den Abfallentsorgungsvorschriften können sperrige Gegenstände mit zu hohem Volumen vom kommunalen Entsorgungskonzept ausgeschlossen werden. Na gut, dann ordnen wird die Sessel erst mal als unbestimmten Mindervolumenmüll ein. Ist die Bespannung Leder oder Stoff?"

"Wozu ist das denn wichtig?"

"Na hören Sie mal! Eine Lederbespannung könnte die Sessel zur Kategorie der biologisch nachverwertbaren Recycling-Produkte hinzuschlagen. Wenn Sie hingegen Kunstleder..."

"Es ist Stoff. Baumwolle!"

"Aha. Da müssen wir natürlich erst einmal herausfinden, ob der Stoff behandelt worden ist. Ist die Bespannung künstlich gefärbt?"

"Das weiß ich nicht. Können Sie die Dinger nicht einfach auf die Müllkippe äh..."

"Ich bin entsetzt! Wo leben Sie denn? Wir können doch nicht einfach solchen Sachen auf die Deponie befördern und nicht wissen, was wir da wegwerfen, gelle? Wir verschmutzen doch nicht freiwillig unsere Umwelt, nicht war? Sie ziehen also mal schön den Stoff ab, entfernen alle Metallteile wie Klammern und Nägel und besorgen sich einen Nachweis über die Inhaltsstoffe des Bezugs, die verwendeten Konservierungsmittel und Einfärbestoffe, und dann kann über den Abtransport im Rahmen einer Sonderentsorgung erneut verhandelt werden.

"Aber dann nehmen Sie die Sachen endlich mit?"

"Nur, wenn Sie die biologisch verwertbaren Teile entsorgt haben. Also das Holzgestell zerkleinern (maximale Scheitlänge 35 cm) und bei der kommunalen Holzverwertung abliefern. Natürlich nur mit einem Zertifikat, daß die Freiheit von Lösungs- und Beizmittelbehandlung nachweist. Sollte dies nicht möglich sein, müssen Sie die Materialien bei der Schadstoffentsorgung kostenpflichtig beseitigen lassen."

"Aber die Spiralfedern nehmen Sie doch mit?"

"Falls es sich um Rein-Metalle handelt. Zink-Legierungen können nur im Rahmen der Bundes-Sondersammelaktionen "Verwertbare Sonderstoffe metallischer Grundart" angenommen werden. Kupferlegierungen sind zwar prinzipiell annahmefähig, jedoch nur unter der Bedingung, daß keine Beimengungen von Platin und Palladium über 0,25 % festgestellt werden. Legen Sie einfach einen entsprechenden gutachterlichten Nachweis bei."

"Aber die Sperrholzrückwände holen Sie ab?"

"Sperrholz ist problematisch. Formaldehydbelastete Materialen können lediglich als Sondermüll der Gefahrenklasse II einer Gefahrstoffendlagerung zugeführt werden und sind prinzipiell nicht zum Abtransport zugelassen."

"Und die Füße vom Sessel? Kunststoff, einfach."

"Kunststoffe sind gefährlich. Chlorierte Kohlenwasserstoff-Produkte sind möglicherweise dioxinbelastet und dürfen wegen Grundwassergefährdung nur zur Sondermülltrennungsannahme abgeliefert werden."

"Und das Preisschild?"

"Wenn es aus Papier ist, kein Problem. Wird angenommen."

"Wissen Sie, was ich mit den Sesseln mache..."

"Ich kann Sie nur davor warnen, sich durch artfremde Entsorgung einer Straftat nach dem Bundesabfallbeseitigungsgesetz schuldig zu machen. Die Strafen sind hart!"

"In Ordnung. ich verbrenne die Dinger im nächsten Jahr an Sankt Martin."

"Ach, als Brauchtumsfeuer? Das ist natürlich gesetzlich statthaft. Guten Tag."

 

Klaus Marion


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Last updated 98/05/03