Fschnvorzgn!

(c) Klaus Marion 1993

erschienen in VorSicht


Schon mehrmals brachte VORSICHT, das Magazin für ungeschminkte Enthüllungsberichte, an dieser Stelle intime Einblicke in die Welt der Bundesbahn. Die Umwandlung dieser ehrwürdigen schienengelenkten Institution in eine schnöde Aktiengesellschaft bietet den Rahmen für eine erneute investigitive Untersuchung. Es geht um den 'Schaffner'. Diese sagenhafte Gestalt, die in farbigen Werbeprospekten meist als Zugbegleiter tituliert wird, hat in den moderneren Fernverbindungszügen der Bundesbahn die Rolle eines Stewards übernommen, wünscht gemeinhein eine angenehme Reise und ist ein Ausbund an höflicher Hilfsbereitschaft.

Im Nahbereich des Deutschen Schienverkehrs wird jedoch eine robustere Variante dieses Berufszweiges bevorzugt. Ihnen sei dieser Artikel gewidmet:

 

"Also Müller, Sie wollen Zugbegleiter im Nahverkehr werden?"

"Ja, eigentlich schon..."

"Schön, schön. Sie haben also brav ihre theoretischen Aufgaben durchgearbeitet. Ja? Dann kommen wir jetzt zum praktischen Teil. Schließlich ist die Praxis das Wichtigste, nicht wahr? Wir werden als gemeinsam heute in diesem Zug kontrollieren.

Fangen wir mit dem Auftreten an. Sie kommen in einen Waggon,. Was sagen Sie dann?"

"Nun, dann rufe ich laut: 'Guten Tag, bitte die Fahrscheine vorzeigen'"

"Sie sind wirklich ein blutiger Anfänger. Da reden Sie sich ja den Mund fusselig, den ganzen Tag über. Das muß viel lockerer kommen. 'GudnDgbdedieFschnevozgn'; oder kürzer 'Fschnvozgn'. Sprechen Sie mir nach."

"Aber... das versteht doch keiner."

"Logisch. Deswegen sagen Sie es auch nicht zu laut. Manche Fahrgäste schlafen nämlich."

"Ach so, die wollen wir nicht wecken."

"Blödsinn, sie müssen doch die Fahrkarten kontrollieren. Aber was glauben Sie, wie lustig das ist, wenn Sie sich an so einen Fahrgast heranschleichen, ihm mit dem Zeigefinger in die Schulter piecksen, ihm ins Ohr brüllen "DEN FAHRSCHEIN BITTE!", und der plötzlich voll Entsetzen hochschreckt! Das ist so gut wie eine Gehaltserhöhung. Und wenn Sie später nochmal vorbeikommen, dann wecken Sie ihn noch mal und stellen sich dumm. Das macht die rasend."

"Aber komm ich ja bei manchen Leuten ein Dutzend mal vorbei?"

"Ein Dutzend?? Sind Sie denn wahnsinnig? Sie können doch im Nahverkehr nicht dauernd durch die Waggons tigern, um nach neuen Passagieren Ausschau zu halten. Da holen Sie sich ja Plattfüße. Schlimm genug, daß sie in jedem Bahnhof aussteigen müssen um die Zugabfahrt zu signalisieren. Ne ne, nach einer Kontrolle verkrümeln Sie sich irgendwo auf ein Klo, wenn kein Dienstabteil dabei ist. Was machen Sie, wenn Sie ein Passagier nach einem Anschlußzug fragt, Müller?"

"Tja, ich sehe nach und gebe ihm höflich die gewünschte Information"

"Sie sind wohl verrückt geworden?? Dann glauben die vielleicht noch, sie wären ein wandelndes Auskunftsbüro und beschäftigen Sie permanent mit irgendwelchen blöden Fragen. Wenn Sie gefragt werden, dann starren Sie den Fahrgast an und lassen den Mund vor Überraschung etwas offenstehen. Anschließend schlagen Sie die Augen nach oben, schütteln leicht den Kopf und murmeln etwas vulgär-russisches. Die Suche im Kursbuch gestalten Sie möglichst langsam und umständlich, viel hin und herblättern, fluchen ein paar mal und nennen dem Fahrgast gequält den Zug und einen falschen Bahnsteig. Dann donnern Sie demonstrativ das Buch zu und verschwinden. Der wird nicht noch einmal fragen, glauben Sie mir. Wenn Sie Glück haben, hält der Zug zwischendurch. Dann brechen Sie die Suche ab und verschwinden auf den Bahnsteig. Und danach kommen Sie einfach nicht wieder.

Müller, Sie wissen, daß Sie manchmal die Abfahrt des Zuges um ein paar Sekunden verzögern müssen, wenn noch Passagiere angerannt kommen?"

"Damit sie noch ihren Zug erreichen."

"Blödsinn. Dann gewöhnen die sich daran und kommen immer zu spät. Nene, wenn der zukünftige Fahrgast schwitzend mit 2 Koffern angerannt kommt, blicken Sie demostrativ in eine andere Richtung und heben langsam die Pfeife zum Mund. Das wird die Person zu einer Steigerung ihrer Geschwindigkeit verleiten. Dann, im Abstand von ca 10 Meter pfeifen Sie und schließen blitzartig die Türen. Und weg sind Sie. Der Rekord übrigens liegt in einer Schließung 0,5 Meter vom Fahrgast entfernt. Göttlich!"

"Ist das nicht gemein?"

"Überhaupt nicht. Schließlich belästigen uns die Passagiere permanent."

"Aha. Was mache ich eigentlich, wenn Betrunkene herumpöbeln? Oder irgendwelche Punker die Passagiere quälen?"

"Oha, das sind gefährliche Momente. In solchen Situationen muß der Schaffner blitzschnell reagieren. Sie müssen sich auf das Wichtigste konzentrieren..."

"Wie ich die Krawallmacher unschädlich mache?"

"Nein, auf sich selber. Sie denken intensiv darüber nach, wie sie sich da raushalten können, am besten auf der Toilette. Solange, bis der nächste Bahnhof erreicht ist."

"Und die anderen Fahrgäste?"

"Das Leben ist eben ein Dschungel. Und noch ein wichtiger Tip: Immer dafür sorgen, daß der Fahrgast, der im Zug die Karte nachlösen muß, die Strafgebühr zahlt. Das macht Eindruck beim Revisor. Und Schwangere zahlen für zwei Personen."

"Muß ich sonst noch etwas wissen?"

"Klar: Hat einer seine Monatskarte vergessen, dann machen wir ihn rund. Ehrensache. So laut, daß es jeder im Waggon hört. Aber, am besten probieren Sie es mal selber mit der Kontrolle."

"Oh, da schläft einer. Was mach ich jetzt?"

"Den kenn ich. Der schreibt so blödsinnige Geschichten. Sie gehen jetzt ganz vorsichtig hin und brüllen ihm folgendes ins Ohr..."

 

Klaus Marion

 


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Last updated 98/05/03