Fußball

(c) Klaus Marion 1991

erschienen in VorSicht


Gemütlich streckte ich die Beine aus. Der Bundesbahnzug war an diesem lauen Freitagabend angenehm geleert, die Sitze kaum verschmutzt, selbst der Schaffner wäre beinahe als freundlich zu bezeichnen gewesen. Sogar ein Abteil für mich alleine hatte ich ergattern können, und so blickte ich frohgemut auf den Bahnsteig und ins nächste Wochende.

Plötzlich vernahm ich einen undefinierbaren Radau auf dem Gang, der sich langsam zu einem "Geil, das Abteil entern wir, eih!" verdichtete. Ich blickte auf. Eine Horde seltsam gekleideter Jugendlicher, in merkwürdigen Farben gewandet, diverse Fahnen unter dem Arm und mehrere Bierkästen zwischen sich, begannen mein einsam gelegenes Abteil zu betreten.

Mit einem prononcierten "PLATZ EIH" schob mich ein vierschrötiger Kleiderschrank, dessen Gesichtsausdruck stark ins brutale spielte, an den Rand meines Sitzes, um Raum für weitere Gestalten zu bekommen.

"Is das gemütlich! Echt stark, nich?"

Selbst wenn ich einen Protest zu äußern gewagt hätte, wäre er wohl kaum zu dem Sprecher durchgedrungen, war mein Gesicht doch im Gedränge an die Lederjacke eines stark nach Schweiß und Alkohol riechenden Gesellen gepreßt, der in unregelmäßigen Abständen ein "Wir ziehen den Bayern die Lederhosen aus" von sich gab. Eine Bemerkung, die mich in Anbetracht der urwüchsigen Brutalität der Sprechweise dazu veranlaßte, für die Tatsache dankbar zu sein, nicht den sichtbaren Eindruck einer Herkunft aus dieser Gegend zu machen. Ich nahm mir vor, meinen Sätzen eine möglichst norddeutsche Aussprache zu geben.

Eine kurze Volkszählung erbrachte die überschlägige Zahl von etwa 14 Person, 6 Bierkästen, allerlei Fahnen und diversen Gegenständen, die ich mit einiger Phantasie nur als Schlaginstrumente verschiedenster Art identifizieren konnte.

Die Enge war bedrückend. Ob sich mein gerade gelesenes Buch noch in meinen Fingern befand, konnte ich nicht feststellen. Der Arm war schräg nach oben abgewinkelt, die Finger durch Stockung der Blutzufuhr absolut gefühllos.

Ein etwas magerer Geselle mit einem nervöse Zucken im Mund, was mir ständig seine fehlenden Vorderzähne zu Angesicht brachten, schien mich zum erstenmal zu bemerken. Er musterte mich ausdruckslos, um mich dann wie folgt anzusprechen:

"Bist Du FC-Fan? Oder was sonst"

Er sagte dies nicht genau so. Was er von sich gab, klang eher wie ein "Bisch uh FFF ZZZEEE Fäjn, oh wa?" und bedurfte bei mir einiger Sekunden gedanklicher Reifung, bis ich zu einer befriedigenden Übersetzung kam. Die Frage schien von einiger Wichtigkeit zu sein, denn plötzlich starrten mich sämtliche Augenpaare (von denen einige leicht blutunterlaufen und zugeschwollen waren) starr und grimmig an.

"Äh..." entgegnete ich so geistesgegenwärtig wie redegewandt. Anscheinend handelte es sich um Fußballfans auf dem Weg vom Spiel. Verzweifelt versuchte ich mich an die Spielpaarungen des Tages sowie an die folkloristischen Fan-Farben zu erinnern. Die Stimmung schien einen Anflug ins Ungesunde zu bekommen.

"Bist Du ein Bayern-Fan?" ("Bischu ne Bayern-Sau, eij??") Der Sprecher massierte sich die Knollennase und rieb einen seiner diversen Ohrringe mit den Fingern. Mir schien eine positive Beantwortung als gesundheitlich nicht zuträglich, unabhängig von meiner persönlichen Meinung in dieser Angelegenheit.

"Keinesfalls, wär ja ekelhaft", was eine sichtbare Entkrampfung der Situation, einen schlüsselbeinbrechenden Schulterschlag sowie ein Bier aus dem großen Kasten erbrachte.

"Und für welchen Verein bist Du?" ("Wlchä geile Mnschft is Top bei Dir, äih?")

"Nun, das kann man so nicht genau sagen...," - das Verfinstern der Mienen war besorgniserregend -

"...aber Eure Mannschaft find ich echt stark, eih!" beeilte ich zu versichern, was mit einem wohlgefälligen Rülpsen aufgenommen wurde.

"Ihr habt gewonnen, heute?" erkundigte ich mich, um das Gespräch auf ein unverfänglicheres Thema zu verlagern. Offensichtlich war dies das richtige Thema, denn es kam echte Rührung auf.

"Klar, eih, denen haben wir es gegeben. Erst gings ja recht langsam voran, dann aber kam es Schlag auf Schlag. So richtig was vor den Sack!"

Die Gestalt mit dem Nasenring nickte heftig mit dem Kopf.

"Ein schneller Konter, dann in die Zange genommen und in die Fresse. Und nochmal. Und nochmal!"

Er demonstrierte mit seinen Händen in der Form von Kalbskoteletts schlagende Bewegungen.

"Aber das gab die Rote Karte, nehme ich an?" erkundigte ich mich teilnamsvoll, während ich versuchte, mir das Spiel visuell vorzustellen.

"Rote Karte? Quatsch! Dann ging der Sturm erst richtig los. Und druff. Und druff."

"Und das Endergebnis?"

"Na, mindestens 35 echt plattgemacht."

Ich hatte das nagend-ungute Gefühl, daß hier wohl ein Mißverständnis in Bezug auf die Sportart vorzuliegen schien.

"Im Fußball..."

"Nee, davor! Das Spiel, eih Kalle, wie isn das Spiel ausgegangen?"

Der so angeredete kratzte sich lange am Kopf, bis er zu einem vorläufigen Endergebnis gekommen zu sein schien.

"So 1 zu 1, oder so. Wehs nich. Is auch egal"

"Ach?" Ich war etwas verwirrt.

"Ist doch klar Mann" bemerkte der Nasenringträger und wurde von seinem biertrinkenden Nachbar mit den Gesichtsnarben unterstützt.

"Wichtig ist doch, wie wir in der Tabelle stehen. Und das sind wir mit 12 Siegen, 2 Unentschienden, 3 Niederlagen..." die Gesichter verfinsterten sich wieder, mein Sitznachbar zerquetschte aus berechtigtem Ärger seine leere Bierflasche,

"...und vierzehn Verhaftungen ganz am oberen Ende der Tabelle."

In die darauffolgende Erörterung von technischen Tricks beim Prügeln von gegnerischen Fans wurde ich freundschaftlich aufgenommen, ein paar der gemeineren Tricks zeigte man mir absolut offenherzig.

An meinem Bahnhof angekommen wurde ich unter großem Hallo und diversen Nasenstübern verabschiedet.

Kalle rief mir noch nach:

"Wir schlagen die Bayern, wo es nur geht!" ("Dij Sau-Bairn krijn aver immr die Fresse voll mitm Fuß, eihj")

Dann war ich auf dem Bahnsteig.

Habe beschlossen, niemals mähr Zug zu fahrn, aber eij!


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Last updated 96/11/25