Hermann

(c) Klaus Marion 1994

erschienen in VorSicht


Alle Jahre wieder, wenn der November langsam auszuklingen beginnt, wache ich regelmäßig aus schrecklichen Albträumen auf, in denen Weihnachten, grün benadelte Bäume und eine unheilvolle Gestalt namens Hermann die Hauptrolle spielen.

Dann weiß ich wieder: es ist Zeit, einen Tannenbaum zu erwerben.

 

Nun gibt es bekanntlich vielerlei Methoden, ein Exemplar aus der Gattung Tannus Tannus zu erwerben. Sportliche Typen mit einem Hang zur Natur verschwinden zu nächtlicher Stunde in naheliegenden Schonungen, um im Schutze der Dunkelheit das passende Bäumchen zu schlagen. Personen mit mehr nachbarschaftlichem Verhalten lassen schon in den Vormonaten ihren geübten Blick über den Baumbestand der gesammten Wohngegend schweifen, um bei Abwesenheit des Besitzers mit Hilfe einer kleinen Säge das passende Exemplar abroden zu können.

Nun muß ich aus prinzipiellen Gründen derartige Methoden energisch ablehnen (zumal sich keinerlei Bäume in passender Größe in der näheren Umgebung befinden), so daß nur der Kauf eines entsprechenden Exemplares in Betracht kommen kann.

Bei Großverkäufen, wie sie von einigen Firmen Bad Kreuznachs auf Ihren Parkplätzen regelmäßig durchgeführt werden, mußte ich bereits mehrmals die Erfahrung machen, daß an den Bäumen, die mir gefallen würden, bereits vierschrötige Gestalten im Zweimeterbereich hingen, deren Diskussionsbeiträge sich auf Sätze der Art "Äi, des isch mein Baum, wilsch was aufs Maul, äi?" beschränkten. Da ich eher klein von Statur bin, danke ich höflich für das Angebot und sehe mich gezwungenermaßen nach Ersatz um.

Und so lande ich jedes Jahr wieder bei Hermann.

Hermann verkäuft Tannenbäume in allen Größen und Formen, die aus irgendwelchen mir nicht bekannten Quellen ihren Weg zu seinem Verkaufsstand finden. Hermann gibt es in jeder Stadt. Keiner weiß, woher er stammt oder in welcher Weltgegend seine Muttersprache beheimatet liegt. Über den Plätzen seines Wirkens scheint eine merkwürdige Dunkelheit zu liegen, egal, welche Tageszeit tatsächlich herrscht.

Es ist jedes Jahr das Gleiche:

Wie immer lasse ich meinen Blick auf die bei Hermann in Reih - und Glied aufgestellten Nadelbäume fallen, während ich versuche, ein genehmes Exemplar ausfindig zu machen. Durch die mangelnden Lichtverhältnisse ein nicht ganz einfaches Unterfangen.

Hermann hat seine Verkaufsgespräche im Hintergrund zu einem erfolgreichen Abschluß gebracht und nähert sich mir mit bedrohlich leisen Schritten. Er ist traditionell in ein grünes Gewand gekleidet, und zusammen mit seiner Mütze in undefinierbarer Farbe ähnelt er überraschend seinen zum Verkauf anstehenden Bäumchen.

"Und, was?" Ein Grunzen.

"Nun, ich wollte einen Tannenbaum..."

Blitzartig greift Hermman in das grüne Dickicht neben sich und packt ein Gewächs am Stamm im oberen Drittel und stellt es knallend vor mir auf den Boden.

"Hier. Erstklassig!"

Ich starre auf das Ding vor mir, daß trotz fehlender Spitze und der Form eines großen C unzweifelhaft ein Baum gewesen sein mußte.

"Nun, nicht ganz das, was ich mir vorgestellt habe. Haben Sie einen Baum in etwa ...der Größe?" Ich mache eine zögerliche Geste in der Höhe meines Kopfes."

Hermanns Augenbrauen ziehen sich drohend zusammen, er schiebt sein Angebot wieder an den Rand und murmelte etwas Merkwürdiges in einem bulgarisch klingenden Dialekt. Er schiebt einen weiteren Baum in mein Blickfeld.

"Der ist Spitze!"

Unbestreitbar. Er besteht zum größten Teil aus einer und wird erst im unteren Viertel etwas auladender. Ich kann mich des Verdachtes nicht erwehren, daß er im von mir abgewandten Teil keinerlei Äste hat. Ich schüttele langsam den Kopf.

"Ich bräuchte mehr Äste, im oberen Bereich. Wegen den Christbaumkugeln..."

Hermanns Blick läßt die Dunkelheit um mich herum noch stärker zum Ausdruck kommen. Er knurrt kurz und zog ein weiteres Exemplar heran.

Ich starre sprachlos darauf. Das Bäumchen, daß er mir vor die Nase hielt, läßt das ganze Elend des Waldsterbens in seinen vollen Ausmaßen plastisch vor Augen treten. Äste in rauhen Mengen, jedoch mit einem erstaunlichen Mangel an Nadeln daran. Einsame Nadelnester sind bräunlich verfärbt, vereinzelte Borkenkäfer blicken verlassen aus den kahlen Wipfeln herab.

Hermanns Blick verrät, daß er für den durchschnittlichen Handelsaufschlag den Service für ausgeschöpft hält. Er schielt zu einem anderen potentiellen Käufer.

"Ich nehme lieber eine Edeltanne. Ich seh mich mal selber um."

Hermann verschwindet, und ich starre in die Dunkelheit. Mit einer gewissen Beunruhigung stellte ich fest, daß die Bäume mit keinerlei Preis versehensind. Solchen Situationen stehe ich zumeist hilflos gegenüber, bin ich doch in der relativ schlechten Position, daß ich den Baum haben will, und der Verkäufer das auch weiß.

Ich betrachtete eine Tanne mit exzessiver Schwindsucht im Seitenbereich, als mein Blick auf ein großes käfigartiges Gatter fällt, hinter dem große Mengen schlanker, hochgewachsener Bäume mit tadellosem Wuchs auf ihre Zeit zu warten schienen. Ich winkte Hermann heran.

"Das Bäumchen, da drin, hätte ich gerne."

Hermann baute sich so auf, daß mein Blick auf das Gatter durch seine breiten Schultern unterbrochen wurde.

"Nicht zum Verkauf. Nur diese Bäume hier." Seine ausladende Geste bestreicht den Bereich des versammelten Elends.

"Den kaufen, oder was?"

Ich starre zweifelnd auf den noch immer in meinen Händen befindlichen Baum. Wie komme ich hier bloß wieder weg? "Was soll der denn Kosten?"

In Hermanns Augen beginnt eine komplizierte Rechenmaschine zu arbeiten. Er multipliziert den Reziprokwert meines Alters mit der Größe meiner Schuhe, dividiert es durch meine eingeschüchterte Gestalt und addiert die Automarke sowie 300% Handelsspanne hinzu.

"Achtundvierzig Mark fünfzig" erklärt er in überraschend klarer Sprache. Ich schlucke. Als Mann von Welt weiß ich, daß man das erste Angebot niemals akzeptieren darf. Ich biete dreißig, die Preisvorstellungen wogen hin und her, und bei einem Preis von Achtundvierzig Mark sowie hart erkämpften fünfzig Pfennigen treffen wir uns in der Mitte.

Ich starre erneut auf den Baum.

"Also, eigentlich, ist das nicht ganz das, was ich wollte. Ich denke noch mal darüber nach."

Hermanns Blick bekommt einen anklagenenden Ausdruck, während er mir mit seinem Handschuh vor dem Gesicht wedelt.

"Das ist ein schöner Baum. Das ein guter Baum. Ich habe nur gute Ware. Warum halten Sie mich so lange auf, wenn Sie doch nichts kaufen wollen..." Es folgen wieder einige Sätze in möglicherweise litauischer Sprache. Was soll ich tun??

"In Ordnung, gut, ich nehme ihn."

Hermann wirft mir den Baum auf Autodach, brummt unfeines, da ich den Preis nicht aufrunde und auf Rückgabe von Wechselgeld bestehe. Dann holt er einige tadellos gewachsene Tannen aus dem Pferch und stellt sie zu den anderen Bäumen zum Verkauf.

Ich fahre deprimiert nach Hause.

Nun, so schlecht ist er gar nicht. Wir haben den Baum in eine dunkle Ecke gestellt und Wuchslücken mit ein paar Topfplanzen und einem Gummibaum kaschiert. Wenn man sich die Spitze und den unteren Bereich wegdenkt, sogar ein phantastisches Exemplar seiner Sorte.

Was würden wir ohne Hermann tun?

 

Klaus Marion


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Last updated 98/05/03