Herzlichen Glückwunsch

(c) Klaus Marion 1993

erschienen in Mini&Co


Das Telefon klingelte gegen acht Uhr morgens.

"Ich möchte Ihnen ganz herzlich zu Ihrem Sohn gratulieren! Glückwunsch und toi toi toi!"

Ich bedankte mich so gerührt wie die Tatsache zuließ, daß ich den Namen des Anrufers noch nie zuvor gehört hatte. Mein vorsichtiges bohren in diese Richtung führte zu einem ausgedehnten Gespräch über das Wetter, Kinder im allgemeinen und das Glück im Leben im besonderen.

"Ein Kind bringt Glück. Das ist jetzt die beste Gelegenheit, mit einem Jahreslos der Klassenlotterie die finanzielle Zukunft Ihres Kindes auf eigene Beine zu stellen. Ich komme morgen Abend mal vorbei und bringe eines mit!"

Ich schilderte meiner Frau die bemerkenswerte Tatsache, daß wir anläßlich der Geburt unseres Sohnes von einem gewissen Hubertus Müller ein Jahreslos geschenkt bekämen.

Meine Frau bedachte mich mit einem spitzen Blick.

"Das ist der Besitzer des Lottogeschäftes um die Ecke. Und ich glaube nicht, daß er Dir das Los schenken will."

Bevor ich mich in dieses verwirrende Thema weiter vertiefen konnte, gab das Telefon erneut läutende Töne von sich.

"Ja?"

"Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Tochter!"

"Es ist ein Sohn."

"Genau das meinte ich. Es ist ein kommen und gehen. Sie sollten eine Risikolebensversicherung für Ihre Tochter abschließen, damit der kleinen Ulrike nichts passiert..."

"Sohn und Sven"

"Genau. Monatsbeitrag von 15,80 DM. Zahlung von 3000 DM im Stebnefall zuzüglich einem Blumenbouquet nach Ihrer Wahl und Sargkostenzuschuß. Bei Unfall das doppelte..."

Ich versicherte dem Versicherungsvertreter, daß ich bei Bedarf kurzfristig auf ihn zurückkommen würde und beendete das Gespräch einseitig.

Der nächste Anruf war ein Partyservice, der sich nach einem Glückwunsch zur Geburt der Zwillinge mit einem Angebot zur Ausrichtung einer zünftigen Tauf-Party anstellig machte. Ich versprach mir das zu überlegen.

"Warum rufen die alle an?"

Meine Frau zeigte kurz auf die herumliegende Zeitung.

"Da drin wird der Name der Neugeborenen veröffentlicht. Zudem kann man Name und Anschrift auf den Standesämtern bekommen."

Es klingelte an der Türe.

Es war mein Versicherungsvertreter. Es sei ganz zufällig in der Gegend gewesen, und da wollte er mir gratulieren zur Geburt unseres Sohnes Richard, worüber er sich ja persönlich ganz besonders gefreut habe und ob es sonst etwas gebe.

Ich versicherte ihm, es gäbe sonst nichts.

"Sagen Sie das nicht! Was ist mit der Haftpflicht? Und der Hausratsversicherung? Und der Aussteuerversicherung? Und der Ausbildungs- und Studienplatzversicherung? Ich darf Ihnen kurz einmal zeigen..."

Seine beredten Ausführungen zum Abschluß einer Sportverletzungsschutzversicherung kamen durch das ständige Klingeln des Telefons zu keinem rechten Abschluß.

"Hier ist Möbelhaus Husensturm. Darf ich Ihrer Carmen einen Kinderstuhl gratis zukommen lassen?"

"Ich werde meinen Sohn fragen. Und das bekommen wir einfach so?"

"Selbstverständlich. Beim Kauf eines kompletten Kinderzimmers in Rein-Eiche in unserem Haus wäre es mir eine sagenhafte Freude, Ihnen dieses Geschenk machen zu dürfen!"

Ich versprach, nach Rücksprache mit der Kreditabteilung meiner Bank auf dieses Angebot zurückzukommen.

Es erwies sich als praktisch, daß ich die Bank beim nächsten Klingeln am Apparat hatte. Die Kundendienstberaterin gratulierte mir zur Geburt.

"Ein Gutschein über ein Sparbuch in Höhe von 5.- DM ist bereits an Sie unterwegs!"

Auf meine Nachfrage versicherte die Bank mir mit Nachdruck, daß dies eine steuerlich absetzbare Geschenkleistung ohne Gegenverpflichtung sei.

"Zusätzlich liegt für Ihren Junior das Aktions-Set bereit. Gutschein für Kinder-Giro, Prämiensparen und Kreditkartenantrag ab dem 16. Lebensjahr."

Als der noch immer anwesende Versicherungsvertreter bei den Vorteilen einer prämienbegünstigten Zusatzkrankenversicherung für minderjährige Familienmitglieder angekommen war, brachte der Briefträger ein Sammelsurium an Glückwünschen sowie diverse Päckchen.

Postalisch gratulierten mein Autohändler unter dezenten Beilage eines Prospektes von Familienfahrzeugen der mittleren und gehobenen Preisklasse, die städtischen Betriebe unter Hinweis auf die Familieneintrittskarten in Frei- und Hallenbädern, 5 Versicherungen mit pauschalen Versprechungen, der Tierschutzverein mit der Erwähnung der familienfördernden Wirkung von Kind-Hund Beziehungen, 3 Friseure, 2 Buchhandlungen, 3 Fahrradgeschäfte und 5 Kinderboutiquen.

Ein Seniorenheim wünschte uns zu unserem Enkelkind alles Gute und verwies auf seine besonders großzügigen Besuchszeiten für Kleinkinder Dienstag und Sonntags.

Ein offentsichtlicher Irrtum lag bei dem Brief eines Beerdigungsinstitutes vor, das uns zu unserem Verlust alle Tröstungen versprach, den die moderne Sargindustrie bereithalten könne.

Nachdem ich versprochen hatte, den Abschluß einer Kinder-Reiseversicherung ernsthaft in Erwägung zu ziehen und dem gratulierenden Chef eines Spielzeuggeschäftes versicherte, beim Kauf von Modelleisenbahnen sein Unternehmen in die engere Wahl zu ziehen, betrachtete ich die verschiedenen Pakete. Es handelte sich zumeist um Werbegeschenke diverser Kindernahrungsfirmen.

Nach dem Anruf eines Reisebüros (Familienferien) hängte ich das Telefon aus.

Der Sachbearbeiter bei der Post erläuterte mir, daß die Erteilung einer Geheimnummer geprüft würde. Ob ich die Vorteile des Familientelefonsystems schon kennen würde?

Wir erwägen eine Auswanderung.

 

Klaus Marion


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Last updated 98/05/04