Hitze im Büro

(c) Klaus Marion 1995

erschienen in VorSicht


Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Wärme ist nichts dramatisches. Im Gegenteil, hohe Temperaturen sind sehr angenehm und werden von vielen Bevölkerungsgruppem äußerst positiv aufgenommen, zum Beispiel von Eskimos und Lapplandbewohnern.

Nein, es gibt nichts bemittleidenswerteres als bepackte Muskelpakete, die mit entsagungsvoller Stimme über zu hohe Außentemperaturen klagen und von Kreislaufproblemen philosophieren. Alles Weichlinge, denen unsere ganze Verachtung gelten sollte.

Hitze ist etwas angenehmnes.

Das Problem ist, daß wir zur Zeit keine Hitze haben.

Wir haben Glut. Die Temperaturen haben in den letzten Tagen derartige Höchstwerte erreicht, daß die Fälle von spurlos im aufgeweichten Teer versunkenen Zwergpudeln und Rauhhaardackeln geradezu beängstigende Fornen angenommen hat, und schon zu einer dringlichen parlamentarischen Anfrage seitens der GRÜNEN geführt haben soll.

Es handelt sich hierbei um Temperaturen, die jeglicher rationalen Beschreibung spotten. Besonders bei der Arbeit.

Es gab Zeiten, da wurde beim Überschreiten von Temperaturen im Bereich der 25 Grad eiligst der schulische Notstand ausgerufen, und besorgte Hausmeister baten einen, dieser gnadenlosen Wärme durch Hitzefrei im heimischen Haushalt vorsichtig zu entgehen. Leider vergaßen sie zu erwähnen, daß im späteren Berufsleben fürsorgliche Überlegungen dieser Größenordnung nicht ganz so häufig anzutreffen sind.

Kunststück, liegt doch die Anfangstemperatur mancher Bürohäuser schon morgens weit über den Werten, bei denen man die sich am Körper befindliche Kleidung gar nicht waschen dürfte.

Wobei daß auch völlig unnötig ist, sie ist sowieso im Schweiß getränkt.

10 Uhr morgens, und ich erschwitze an meinem Schreibtisch.

Zwar existiert an meinem Arbeitsort eine hauseigene Klimaanlage, leider hat diese jedoch die Eigenschaft, die angesaugte Wärme in die Tiefgarage auszupusten, was zu diversen Beschwerden empörter Autoparker geführt hat, die ein weiteres Schmelzen von Gummidichtungen an ihren Fortbewegungsmitteln nicht weiter hinzunehmen bereit waren.

Also wird die warme Luft angesaugt, etwas verwirbelt, durch einen warmen Wärmeaustauscher gejagt, der nichts außer eigener Wärme auszutauschen hat, um sie nur wenige Grad erwärmt wieder in die Räume zu pusten.

Die Hitze ist unerträglich. Eine geplante Reduzierung der getragenen Kleidungsstücke scheiterte jedoch am Veto der Gewschäftsleitung. Mit Hinweis auf hygienische Verordnungen wurde das Tragen von nacktem Oberkörper abgelehnt sowie mit Bedauern erklärt, daß nach den bestehenden Betriebsvereinbarungen das benutzen kurzer Hosen nur bei kriegsähnlichen Anlässen nach Verhängung nationaler Ausnahmezustände statthaft sei.

Ein Kollege von mir hatte einen eigenen Kühlschrank in seinem Büro, in dem er 6 Paar Hosen nebst zugehörigen Hemden verwahrt, die er in regelmäßigen Zuständen zu wechseln pflegte. Wir beneideten ihn alle. Dann versagte das Gerät. Er wankte aus dem Büro und soll ausgewandert sein. Sibirien.

Kühlakkus in halbgefrorenem Zustand werden zu Höchstpreisen unter der Hand (bzw unter dem Hemd) gehandelt, und sind damit für Normalverdiener völlig unerschwinglich geworden.

Gegen 12 Uhr pflegt die Temperatur gemeinhin neue Höchststände zu erreichen. Papier vergilbt vor meinen Augen, Tinte trocknet ein, mein Gesicht ähnelt dem Bodensee bei Sturmflut. Das Temometer behauptet lügnerische 29 Grad, was ein Witz ist. Im Hause geht das Gerücht um, daß die aufgehängten Termomenter Spezialanfertigungen der Geschäftsführung seien, die grundsätzlich nur zur Anzeige von Temperaturen zwischen 22 und 30 Grad in der Lage wären.

Ich blicke sehnsüchtig auf den Gang, auf dem es angeblich um ein halbes Graqd kühler sein soll. Dabei bemerke ich, daß der weibliche Teil der Beschäftigten offensichtlich modebedingt größere Freiheiten bei der Entledigung unnötig Wärmestau erzeugender Kleidung hat. Was aber bei genauerer Betrachtung zu einer hormonellen Erhöhung meiner Innentemperaturen führt, und mich wieder meinem Schreibkram zuwenden läßt. Leider ist inzwischen der Kugelschreiber ebenfall eingetrocknet.

Ich beschließe die Energie zu opfern, um 4 Stockwerke tiefer dem EDV-Raum einen Besuch abzustatten. Ein Gedanke, der nicht nur mir gekommen zu sein scheint. Menschentrauben hängen an den von innen verschlossenen Türen, pressen ihr Gesicht an die unterkühlten Scheiben und stoßen Schreie gutturalen Entzückens aus.

Ich schäme mich für diese hemmungslose Darbietung von Schwäche, stoße unauffällig einen Auszubildenden beiseite und erhasche ein Stück von der gekühlten Tür.

Neidvoll erblicken wir das EDV-Personal, daß bei Temperaturen um 17 Grad mit einem glückseeligen Lächeln seine Maschinen beobachtet. Merkwürdigerweise fanden nach und nach alle Geschäftsführer ihren Weg in die EDV-Zentrale, um einige unabdingbar wichtige Rückfragen wegen verschiedener Probleme stellen zu können.

Nachdem enthemmte Damen aus der Lohnbuchhaltung ihre überhitzen Oberkörper textilfrei gegen die unterkühlten Scheiben preßten, erscheinen zwei stämmige Hausmeister, um dem schamlosen Treiben ein Ende zu setzen unds uns an die Arbeit zurückzutreiben.

Da die Kellerräume aus unerfindlichen Gründen heute alle verschlossen sind, beschließe ich, mein Überleben durch den Genuß eines gekühlten Getränkes aus dem Automaten zu sichern. Helle Aufregung empfängt mich. Unbekannte haben das Kühlaggregat aus dem Automaten entwendet. Das Geld ließen sie drin.

Der Kurs für eine unter der Hand verkaufte Cola unter 24 Grad steigt auf 6,50 DM im Schatten.

Mein Schielen auf die Sprinkleranlage nimmt langsam die Form einer permanenten Sehstörung an. Ich würde sie aktivieren. Dazu müßte ich aber aufstehen, und daß ist bei Temperaturen über 30 Grad kein echtes Vergnügen. Ich beschließe, mich nicht mehr zu bewegen.

Nur noch 2 Stunden, dann ist Feierabend. Raus hier, raus ins... Lärm auf dem Flur unterbricht meine leicht verwirrten Gedanken. Ein Kollege wird vorbeigetragen. Wie mir ein entkräfteter Augenzeuge glaubhaft versichert, habe er sich nach dem Öffnen des Fensters schwere Verbrühungen durch die heiße Außenluft zugezogen. Ich krieche zurück auf meinen Stuhl. Können Bleistifte ihre Form verlieren? Ich weiß es nicht, dieser tut es aber gerade. Es wird immer heißer, meine Uhr ist stehengeblieben, ich halte es nicht mehr aus, vielleicht sollte ich eine Geschichte darüber schreiben, es ist ... so ... heiß


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Last updated 96/11/25