Langfinger

(c) Klaus Marion 1994

erschienen in VorSicht


Fahrradfahren ist schön.

Eingedenk dieser Behauptung aus der Shimano-Werbung wird wie jedes Jahr im Frühjahr mein eisernes Gefährt aus seiner Behausung in der Garage hervorgeschoben, durch leichtes Wischen mit einem Tuch von seiner Verstaubung befreit und anschließend den ersten Sonnenstrahlen präsentiert. Hinaus auf die Radwege!

Wenn ich dann, wie jedes Jahr, von meinem Sonnenbrand dritten Grades halbwegs wieder genesen bin, wird es für die alltäglichen Besorgungen eingesetzt. Hier mal in die Stadt, da mal ins Schwimmbad. Ein schneller Einkauf, rauf auf das Gefährt, und ab nach Hause...

Es war weg.

Leider war auf mein suchendes Umherblicken keine Spur mehr von meinem Drahtesel zu entdecken. Auch die im ersten verschreckten Augenblick geäußerte Hoffnung, durch einen energischen Windstoß könne es möglicherweise zwangsweise seinen Standort gewechselt haben, erwies sich als trügerisch. Weg. Gestohlen.

Nun bin ich auf mein Fahrzeug sehr stolz, es trägt mich schon seit einigen Jahren, nicht ganz neu, natürlich, aber doch ein Schmuckstück. Dies erläuterte ich den Beamten auf der Polizeiwache, bei denen ich eine detaillierte Beschreibung ablieferte Man stand mit einer bemerkenswert uninteressierten Haltung meinem Schicksalschlag gegenüber.

"Passiert jeden Tag. Nix besonderes."

Die von mir geäußerte Vermutung, daß es sich bei dem Dieb in Anbetracht der Auswahl meines Fahrrades um eine Person mit kultiviertem Geschmack und wahrscheinlich hoher Bildung handeln müsse, wurde mit Geringschätzigkeit entgegengenommen. Beim durchlesen meiner Beschreibung verstieg sich einer der Hüter des Gesetzes sogar zu der Bemerkung, es müsse sich um einen leicht dilettantischen Anfänger mit Augenproblemen, stark vermindertem IQ und allgemeiner Wahrnehmungsschwäche handeln.

"So ne alte Rostlaube wie Ihre wird normalerweise überhaupt nicht geklaut. Wer will so ein Ding?"

Leider führte die von mir halblaut geäußerte Vermutung, daß ich jetzt endlich wisse, wo meine Steuergelder versickern würden, zu einer gewissen atmosphärischen Verstimmung, so daß es mir ratsam erschien, meinen Besuch zu beenden.

Wie sich später herausstellte, mußte der Dieb tatsächlich gewisse Zweifel an dem von ihm unrechtmäßig erworbenen Fortbewegungsmittel gehegt haben, denn zweihundert Meter vom Tatort entfernt entsorgte er mein Fahrzeug durch einen beherzten Wurf in die Nahe.

 

Als ich meinem Fahrradhändler den Verlauf dieses Mißgeschicks in den schillernsten Farben schilderte, schüttelte er nur mitleidslos den Kopf.

"Nicht abgeschlossen, wie?" war sein sofort geäußerter Verdacht.

"Doch doch, ich habe da am Rahmen so einen kleinen Rigel, den kann man mit einem Schlüssel nach innen schieben, und äh... "

"Der Dieb hat ihn abgebrochen.. Das kann ja schon ein beschränkter sechsjähriger ohne Werkzeug. Völlig wirkungslos. Sie dürfen ihr Fahrrad nicht einfach draußen stehen lassen!"

Ich erläuterte ihm, daß ich diese Taktik auch schon versuchsweise in Erwägung gezogen hätte. Leider erwies sich die Toleranzbereitschaft meiner Mitmenschen bei der Mitnahme meines Gefährts in Kneipen, Supermärkten und engen Aufzügen als bedauernswert gering, so daß ich drauf leider nicht zurückgreifen könne. Ob es nicht etwas kräftigeres zum Abschließen gebe...?"

"Na, da gibt es die einfachen Schlösser. Kunstoffummantelte Stahllitze, mit Sicherheitsschloß. 20 Mark 50, und mit jeder kräftigen Zange zu knacken. Wenn schon sowas, dann die extraharten Speziallitzen mit Chrom-Mangan-Füllung und salicylischem Rostschutz!" Er knallte ein sich selbst aufwickelndes Gebilde auf den Tisch.

"Und das schützt?"

"Natürlich nicht gegen Profis. Mit einem Bolzenschneider kriegen Sie das auch durch. Einmal angesetzt und Schnapp. Ich sehe schon, Ihnen ist die Sicherheit Ihres Fahrrads mehr wert als lumpige 50,- DM. Nein, gegen Profis brauchen wir unser Spezialangebot: Colossus IV, der Kettenprofi. Spezialgehärtete Kettenglieder im Titanlook, 1,5 zöllig, mit Doppelspleißanschweißung. Kryptoschicherheitsschloß mit zwei Schlüsseln und kardangelagerter Bartschließe mit Imbussperre. Kette 1 Meter lang, eignet sich für eine Befestigung des Rades an Laternenmasten oder ähnlichen Objekten. Das wäre das Richtige für Sie!"

Wir schoben mein Rad in die Werkstatt, wo sich der Inhaber erheischig machte, die Kette nebst Halterung zu montieren. Er schleppte das Gebilde keuchend heran, worauf sich mein Rad bei der Montage deutlich durchzubiegen schien. Ich beschloß, Nägel mit Köpfen zu machen.

"Und wenn ich nichts zum anbinden habe?"

"Das ist natürlich ein gewisse Gefahr. Es gibt tatsächlich freche Gestalten, die klemmen das Rad einfach unter den Arm. Aber, auch da gibt es Schutz!" Er kramte in einer Ecke und kam mit einem Kasten in der Größe eines mittleren Reisekoffers zurück.

"Unser Spezialset Cornelius GT! Der ultimate Schutz gegen Diebstahl. Ein Renner. Natürlich etwas teurer, aber ich sehe schon, daß Sie ein Mann mit dem Bewußtsein für hundertprozentige Maßnahmen sind."

Im Verlauf der nächsten Stunde wurde mein Gefährt mit einem Sammelsurium von neongefärbten Kästen, mattierten Bolzen und sinnreichen Mechanismen versehen, die mein Fahrrad gleichmaßen im Gewicht verstärkten, wie sie meine Brieftasche erleicherten. Unter den anfeuernden Rufen des Händlers schob ich mein Gefährt von dannen.

Die Wegfahrt mit meinem Fahrzeug erwies sich von Stund an als etwas aufwendiger. Mit einem Schlüssel entsicherte ich als erstes die beiden Felgenklammern, löste die beiden Parkkrallen von den Rädern und entriegelte die Kugellagersperre nahe den Pedalen. Durch Eingabe ein fünfstelligen Geheimzahl wurden die Signaleinrichtungen A (Sirene), B (Rauchentwickler) sowie C (explosiver Knallkörper mit Blendeinrichtung) entschärft. Das Durchziehen der Codekarte durch den Leseschlitz deaktivierte die Injektionsnadel im Sattel sowie die Tränengasflutungsanlage in der Lenksäule.

Zwar war ich nun der Star jedes Fahrradparkplatzes, dafür ließ sich das Gefährt nur noch mit enormen Kraftaufwand bewegen, bevorzugt abwärts und mit Rückenwind. Ich war am verzweifeln.

Bis letzte Woche.

Nach der Rückkehr aus dem Supermarkt war zwar mein Fahrrad noch ordnungsgemäß da, aber Colossus IV und Cornelius GT war verschwunden. Alle Sicherungen weg, jede Kette entfernt.

Ich bin gerettet.

 

Klaus Marion


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Last updated 98/05/03