Olympia

(c) Klaus Marion 1996

erschienen in VorSicht 6/96


Ja, es ist wieder soweit: Nach langen, entbehrungsreichen Jahren sind wieder die Olympischen Spiele auf dem Bildschirm zu verfolgen.
Kaum, daß man sich von der Fußballeuropameisterschaft halbwegs erholt hat, jagen sich schon wieder sportliche Ereignisse um die Wette.
Zugegeben, die Hauptereignisse finden nach amerikanischer Ortszeit statt, was durch die Zeitverschiebung ein Aufbleiben bis in die frühe Morgenstunden bedeuten kann. Aber: schließlich handelt es sich um ein sportliches Großereignis, ja, der Geist von Olympia zieht durch die Straßen, die Jugend der Welt streitet um die Ehre etc etc. Mit anderen Worten: Kultur pur. Ein Muß für den aufgeklärten Menschen, hier up to date zu sein und mitreden zu können.
Nur: Was tue ich, wenn ich mich gar nicht für Olympia interessiere? Mir völlig egal ist, daß Herbert Hasenbier im gestreckten Fünfsprung die Weltbestmarke von 1933 knapp verfehlt hat? Bei der Fußball-EM konnte man in gewissen intellektuellen Kreisen noch auf das primitive Wesen des Fußballes an sich hinweisen, um demonstrativ einen Fußballboykott zu erklären und dabei immer noch als geistige Führungsfigur zu gelten. Aber Olympia? Das völkerverständige Treffen der Nationen? Und hier nicht mitreden können? Ein Problem.
Deswegen hier die ultimativen Tips für alle Olympia-Ignoranten:

1 ) Schlaf
Wenn man Sie in ein Gespräch zu irgendwelchen gestrigen Finalkämpfen locken will, betonen Sie mit einem demonstrativen Anflug von schlechten Gewissen, daß sie leider aufgrund von bereits 3 durchwachsen Nächten dem vergangenen Abend nicht mehr in voller Konzentration hätten folgen können. Versuchen Sie dabei, das Gegenüber glasig zu fixieren und torkeln Sie von dannen. Das trägt Ihnen den Ruf ein, ein echter Olympiaanbeter zu sein, dem nichts zu hart ist.

2) Überstunden
Wie 1), nur für Vorgesetzte! Statt 3 durchwachten Nächten wegen Olympia geben Sie an, sie hätten an der innovativen Zukunftsplanung des Unternehmens gearbeitet und deswegen Olympia versäumt. Der Vorgesetzte wird ein schlechtes Gewissen haben, daß Sie Olympia verpassen mußten und sie nicht mehr darauf ansprechen. Eventuell winkt ein Sonderurlaub oder eine Gehaltserhöhung wegen besonderen Arbeitseinsatzes.

3) Sportarten
Läßt sich ein Gespräch überhaupt nicht vermeiden, so gehen Sie direkt in die Offensive und erklären Sie ihrem Gegenüber, daß Sie stattdem 'langweiligen 100-Meter-Finale' lieber die Ausscheidungen im gemischten Doppel beim Freeclimben angesehen haben. Murmeln Sie was unbestimmtes von 'auf irgendeinem Satelliten-Sportkanal', wenn die Frage nach dem Sendeplatz dieser Sportart auftauchen sollte. Die Sportart selber ist völlig egal, hat doch kein Mensch mehr eine Übersicht darüber, was inzwischen alles olympisch ist und was nicht (Freistil Bungee-Jumping, Rollerblade-Weitsprung etc). Auch Variationen und Untergruppen von Sportarten sind leicht zu kreieren, ohne daß das Gegenüber etwas dazu bemerken könnte. So machen sich die 'Hoffnungsläufe im Free-Style-Fresbee-Werfen im Mittelschwergewicht' schon allein von der Wortkombination beeindruckend im Gespräch.
Als Begründung macht sich im übrigen immer der Hinweis auf die 'Nichtkommerzialisierung dieser besonderen Sportart' gut, was beim Gegenüber ein schlechtes Gewissen hinterläßt.

4) Medaillen
Nichts ist so nervig wie gute Bekannte, die jeden Morgen exakt wissen, wieviel silberne, goldene oder bronzene Medaillen die deutsche Mannschaft schon gescheffelt hat und die einem dieses Wissen gleich unter die Nase reiben wollen.
Hier hilft nur ein Blick in die morgendliche Zeitung, um mit Kennermine zu den Informationen über die Deutsche Mannschaft zu nicken und im Anschluß sich über die tolle Bronze-Medaille von Togo oder der mittleren Mongolei zu verbreiten. Der nervige Olympiafan hat von diesen Ländern wahrscheinlich noch nie was gehört und erstarrt vor Erfurcht vor Ihrem profunden Wissen.

5) Technik
Nichts verblüfft Olympia-Fans so sehr wie explizites Fachwissen. Fabulieren Sie Gesprächsweise über die tolle Beintechnik des 10.000 Meter-Gehers Abdul Sahangueli (dessen Name Sie noch nie gehört haben), der bei der eingegrätschten Seitenabrolle des mittleren Schienbeingelenkes einen äußerst dynamischen Anwinkelungsfaktor vorweisen kann, was den Sieg in den nächsten Jahren unausweichlich macht. Sollte daß das Gegenüber noch nicht mundtot machen, so verweisen Sie auf Ihre Jahre im Olympiatrainingskader und bei Aufbaucamps, was sie aber wegen mangelnder sportlicher Herausforderung abgebrochen haben.

6) Vorhersage
Ultimativ auftrumpfende Olympia-Fans begegnet man am besten mit der Vorhersage-Taktik. Morgens beim Blick in die Zeitung drei oder vier Ergebnisse herauspicken und memorieren.
Im Gespräch um Olympia äußert man begeistert, daß man sich schon auf die Auscheidungskämpfe im Bantamgewicht der Gewichtsheber freut, denn man sei sich schließlich sicher, daß die folgenden fünf Personen das wohl unter sich ausmachen werden etc. blah blah.
Ein Zuhörer wird jetzt unausweichlich darauf hinweisen, daß das Finale doch schon gestern Abend war, aber tatsächlich, die haben ja wirklich in dieser Reihenfolge die Medaillen belegt! Sie heucheln Ärger, daß Sie das nicht sehen konnten, aber Ihr Ruf als fulminanter Sportkenner wird Ihnen vorauseilen.

7) Doping
Schließlich und endlich gibt es noch ein Mittel, daß gegen jeden Olympia-Angeber todsicher wirkt und ihn zum verstummen bringt. Anabolika. Allerdings nicht für Sie, sondern für die Sportler.
Hat sich wieder so ein Sportverrückter im Freundeskreis darüber ausgelassen, wie toll doch dieser oder jener Olympiasieger seine Goldmedaille erkämpft habe, deuten Sie an, daß man in CNN gerade vorhin gemeldet habe, daß möglicherweise Doping im Spiel sei (erzählen Sie irgendwas von A-, B- oder C-Proben).
Damit ist der Sieg diskreditiert, und der begeisterte Olympia-Fan ist als leichtgläubiger Amateur entlarvt, der das einfach nicht geblickt hat.

Ein Trost gibt es aber noch an alle Olympia-Muffel: Die nächsten Sommerspiele sind erst wieder in 4 Jahren.

 

Klaus Marion


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Last updated 98/05/03