Das Jubiläum

                                (c) Klaus Marion 1999

                                erschienen in VorSicht 10/99


15 Jahre Vorsicht   -   natürlich muss es da etwas zum Thema "Jubiläum" werden.
Nun haben sich die Jubiläen in den letzten Jahren irgendwie gehäuft, da bot es
sich an, diese schon geschriebenen Jubiläumsbeiträge selbstironisch mit einzu-
beziehen. Daher an dieser Stelle der Hinweis auf  10 - Jahre, die Satire zum
zehnjährigen Jubiläum, sowie der Geschichte zur 100. Ausgabe

Jubiläen sind ein wunderschöner Anlass, dem Jubilar seine Wertschätzung zu
beweisen und ihm etwas gutes zu tun. Das gilt besonders für das Verhältnis
zwischen Autor und seiner bevorzugten Zeitschrift. Ausgehend von dieser
Überlegung beschloss ich, zum Anlass von 15 Jahren VORSICHT, der
Zeitschrift, der Redaktion und dem Herausgeber eine besondere Überraschung
zu bereiten. Nicht einfach die übliche Satire. Nein, ein echter Lobes-Artikel
sollte es werden, der dem Anlass würdig wäre. Zu diesem Zwecke machte ich
eine erste Fühlungsnahme bei der Redaktion.
"Ich dachte an einen Bericht über die Jubiläumsfeierlichkeiten, bei der ich alle
Mitarbeiter sympathisch beschreiben kann. Ich wollte..."
Nadine’s Reaktion war tendenziell eher zurückhaltend.
"Was für Feierlichkeiten?? Seit Deiner Satire zu diesem Thema beim letzten
Jubiläum hat der Herausgeber sämtliche Feierlichkeiten für alle Ewigkeiten
verboten und jegliche Vorschläge in diese Richtung mit arbeitsrechtlichen
Konsequenzen bedroht. Verschwinde."
Ich beschloss, diese etwas einseitige Meinung zu ignorieren und bei der
Chefredaktion selbst vorstellig zu werden.
"Wie wär’s mit einem Sonderbericht über lustige Begebenheiten aus 15 Jahren
Redaktion?"
Sandra bedachte mich mit einem eisigen Blick.
"Dein letzter Enthüllungsbericht über 'lustige Begebenheiten’ hat
zwei Mitarbeiter ihren Job gekostet, führte zur Degradierung von einem
Redakteur zur Putzkraft und der Streichung sämtlicher Sonderprämien,
rückwirkend für die letzten 3 Jahre. Raus!"
Da ich auch diese Reaktion für emotional stark übertrieben und nicht
repräsentativ hielt, beschloss ich, das einfache Redaktionsmitglied von der
Straße zu befragen, um eine authentische Reaktion auf eine weitere lustige Idee
zu einem Artikel zu testen.
"Also, ich dachte mir, ich schreibe einmal über das lustige und lockere
Arbeiten in einer Redaktion, mit all den tollen Vergünstigungen, dem klasse
Arbeitsklima und den lock... CHR ...er... CHRR ...en Arbeits... AUA -zeiten
ARRGL..."
Der Mitarbeiter hielt meinen Hals umklammert und schlug meinen Kopf
rhythmisch auf den Boden.
"So, ja? Ich erinnere mich an Deine letzte Satire zu diesem Thema. War sehr
lustig, wirklich! Seither ist es vorbei. Alles hat der Herausgeber gestrichen:
Keinen Kaffee mehr, keine kostenlosen Teilchen. Stechuhren haben wir jetzt,
die Redaktionsräume werden mit Videokameras überwacht, und bei weniger
als 180 Anschlägen pro Minute im Monatsmittel wird das Gehalt gekürzt.
Ganz toll! Noch eine Zeile zu diesem Thema, und man findet dich im Fluss!
Und hör endlich auf, so enervierend zu röcheln!"
Ich beschloss, offensichtlich bestehende leichte Aversionen gegen das Thema
nicht zu verstärken und ein ganz neues Thema zu suchen. Schon wenige
Minuten später tat sich vor meinem geistigen Auge eine fantastische Idee auf:
Ein Artikel mit den Grußworten von Wegbegleitern aus 15 Jahre VORSICHT.
Institutionen und Personen, die eine literarische Laudatio auf die Redaktion und
ihr Wirken und Schaffen halten und ein Denkmal der journalistischen Arbeit
diesen tapferen Männern und Frauen setzen würden. Hier könnte ich eine
echte Freude machen.
Ich entschied, in der näheren Umgebung zu beginnen. Leider erwies sich die
Anfrage in der nahe gelegenen Kneipe als nicht sehr ergiebig.
"VORSICHT? Ja, die Redaktionsmitglieder kenn ich. Immer Remmidemmi in
meinem Laden. Ganz nette Leute eigentlich." Er blickte mich nachdenklich an.
"Allerdings haben die so einen Idioten, der schreibt immer so komische
Geschichten, auch über Kneipenwirte. Finde ich eigentlich gar nicht komisch.
Prügeln müsste man den."
Ich beschloss, lieber einige positive Aussagen bei den Stadtwerken
einzusammeln.
"VORSICHT? Ja, die kennen wir. Kann man nichts Negatives sagen.
Bezahlen pünktlich ihre Rechnungen. Und haben einen ordentlichen
Stromverbrauch. Aber... Wenn ich’s mir recht überlege: Haben die nicht so
einen blöden Schreiberling, der sich immer über uns und unsere
Dienstleistungen lustig macht? Nennt das Satire. Glattes Verbrechen, würde
ich sagen. Kennen Sie den vielleicht?"
"Äh... nie von ihm gehört. Aber Sie halten es doch für wichtig, dass man an
einer Zeitschrift wie der VORSICHT ablesen kann, wie der Trend der Zeit
ist?"
"Ablesen? Ja, über das Ablesen der Zähler hat der Kerl doch auch eine Satire
geschrieben, oder? Fand ich, ehrlich gesagt, empörend!"
Offensichtlich war es nicht ganz so einfach, Persönlichkeiten in öffentlicher
Verantwortung zu finden, die sich des Ernstes der kulturellen Lage bewusst
waren. Ich kontaktierte höhere Stellen der hiesigen Polizeibehörden und bat
um ein paar kommentierende Worte:
"Wie sehen Sie den positiv kanalisierenden Einfluss einer Zeitschrift wie der
VORSICHT auf die Jugendkultur in Bad Kreuznach?"
"VORSICHT? Die kenne ich! Ganz in Ordnung, das Blatt. Liegt polizeilich
nichts gegen die Leute vor, auch wenn Sie immer auf so Veranstaltungen
hinweisen, wo es wieder zu Ruhestörungen kommen kann. Da fällt mir ein:
Haben die da nicht so einen saublöden Satiriker, der sich über alles lustig
macht, auch über die Polizei? Dass wir keinen Humor hätten und so. Geradezu
polizeiwidrig ..."
"Ja? Mir völlig unbekannt!"
Die nächste Station meiner Recherche war die Post.
"VORSICHT? Geht in Ordnung, haben einen ordentlichen postalischen
Umsatz mit uns. Allerdings, da liegen mir einige Beschwerden vom Betriebsrat
vor. Wegen so einem blödsinnigen Schreiberling, der uns immer vorwirft, wir
wären nicht dienstleistungsbereit und unfreundlich dazu. Aber ich komme noch
auf den Namen von dem Kerl. Nach meiner Mittagspause. Sie entschuldigen
mich?"
Einzelhandelsverband.
"VORSICHT? Wo sie mich direkt fragen fällt mir ein, dass noch mindestens
20 Beschwerden bei mir auf dem Tisch liegen. Wegen Rufschädigung,
Umsatzreduktion und allgemeinen öffentlichen Unfugs. Da schreibt so ein
frecher Kerl Geschichten und macht sich über den Bad Kreuznacher
Einzelhandel lustig. Unerhört! Kennen Sie den etwa?"
Und der Mann von der Straße?
"Entschuldigung, was halten Sie als Motorradfahrer vom Jubiläum der
VORSICHT?"
"Was heißt hier Vorsicht eij? Du bist ma vorsichtig, Kleiner. Der Kalle, der hat
ma die Zeitschrift angeguckt. Un hat ne Seite gelesen, da hat sich ener lustig
gemacht, über unsereins, wah? Als ob wir nicht lesen könnten un so." Er
schlenkerte eine ölige Motorradkette.
"Keule, haste mit denen etwa was zu tun?"
Ich verkrümelte mich schnellstens.
Nach einigen Kürzungen der gemachten Meinungsäußerungen gelang es mir,
einen Artikel mit dem positiven Grundton der Resonanzen zu schreiben, der
die allgemeine Hochschätzung der VORSICHT in den Bad Kreuznacher
Leserkreisen zum Ausdruck bringen würde.
Ich begab mich zur Redaktion, um mit dem Herausgeber über mein positives
Recherche-Ergebnis zu sprechen.
Überraschenderweise machte die Redaktion einen unaufgeräumten Eindruck.
Der Herausgeber wirkte verwirrt.
"Ich verstehe das nicht. Unser Jubiläum steht irgendwie unter einem schlechten
Stern. Erst erteilt uns unser Kneipenwirt kommentarlos Hausverbot, dann
stellen sie uns unregelmäßig den Strom ab und beenden die Erdgaslieferung.
Ein Rockerrollkommando verwüstet alle Redaktionsräume und verprügelt
leitende Mitarbeiter des Verlags."
Er rieb sein blaues Auge.
"Dann wird die Redaktion von der Polizei durchsucht, die Steuerfahndung
überprüft momentan die letzten 15 Jahre, der gesamte Einzelhandel boykottiert
uns, und die Post verweigert den weiteren Transport von an uns gerichteten
Schriftstücken. Ich verstehe das nicht. Als ob irgendein Verrückter alle auf
einmal rebellisch gemacht hätte." Er befühlte die Zahnlücke.
"Den werde ich umbringen!"
Er setzte sich an den zerbrochenen Schreibtisch.
"Du wolltest statt einer Satire einen Artikel schreiben?"
"Äh, nein. Nein."

Daher ist es diesmal doch wieder eine Satire geworden.

Klaus Marion


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Last updated 07.10.99