Arbeitszeugnis

(c) Klaus Marion 2002

erschienen in Initiativ


Arbeitszeugnisse gehören zu den wichtigsten Dingen im Leben eines Arbeitnehmers, können Sie doch noch Jahre später darüber entscheiden, welches Bild sich ein potentieller Arbeitgeber von dem Bewerber macht. Dazu kommt die Pflicht des Arbeitgebers, nichts negatives über seinen Angestellten zu sagen. Was daraus fogt, ist klar: Nur positive Bemerkungen, die aber versteckte Hinweise auf den benoteten enthalten. Kein Wunder, wenn jeder Angestellte einen kritischen Blick auf die Formulierungen wirft. Was es für jeden Arbeitgeber nicht einfacher macht, wie nachfolgendes Tondokument beweist.

Chef: Lieber Herr Grottenberg, nachdem Sie leider nächste Woche unsere Firma verlassen werden, darf ich Ihnen noch einmal sagen, wie sehr ich, nein, wir alle, Ihr Ausscheiden bedauern. Sie waren über Jahre ein hervorragender Mitarbeiter , mit einem ständigen Blick auf die Belange der Firma und mit hohem Engagement allen Ihren Aufgaben gegenüber. Ihr Weggang wird eine Lücke bei uns reißen, die nicht so einfach zu schließen sein wird
Der misstrauische Angestellte: Vielen Dank.
Chef: Ja, aber ich kann Ihre Beweggründe, die Chance für eine leitende Stellung in einem anderen Unternehmen zu übernehmen, nachvollziehen, so sehr ich auch Ihren Weggang bedauere. In Ihrem Alter hätte ich es sicher auch so gemacht. Sie sollten Karriere machen, mit Ihren Fähigkeiten!
Der misstrauische Angestellte: Das ist sehr freundlich.
Chef: Da mir auch persönlich ihr weiteres Wohlergehen am Herzen liegt, habe ich mich darum bemüht, Ihnen ein Arbeitszeugnis zu schreiben, dass meiner Hochschätzung für Ihre loyale und gute Arbeit gerecht wird. Vielleicht möchten Sie es einmal ansehen?
D nimmt das Blatt entgegen und liest
Chef: Sie erhalten hier ein Zeugnis, dass sie wahrlich nicht verstecken müssen!
Der misstrauische Angestellte: Ja... Das liest sich alles sehr gut. Nur Lob und Anerkennung. Aber wo ist der Haken?
Chef: (etwas verwirrt) Welcher Haken?
Der misstrauische Angestellte: Nun, jeder weiß doch, dass Arbeitszeugnisse immer positiv geschrieben sind. Aber wo sind die versteckten Bemerkungen mit den Geheimaussagen??
Chef: Äh, da sind keine drin. Ich habe die Standardformulierungen für absolut beste Leistungen genommen.
Der misstrauische Angestellte: Ha! Und was heißt das hier?? "Er erfüllte die an ihn gestellten Aufgaben jederzeit zu unserer vollsten Zufriedenheit". Soll das ein Witz sein?
Chef: (sehr verwirrt) Nein, das heißt, dass sie die Ihnen übertragene Arbeit erstklassig gemacht haben.
Der misstrauische Angestellte: Ich bin doch nicht blöd. Und welche Arbeiten habe ich bekommen?
Chef: ??
Der misstrauische Angestellte: Aha! Wer sagt denn, dass man mir alle Arbeiten übertragen konnte? Vielleicht habe ich nur Hof gefegt? Wollen Sie das ausdrücken? Damit kommen Sie nicht durch! Das müssen wir ändern.
Chef: Nun, wenn Ihnen daran so viel liegt. Haben Sie einen Vorschlag?
Der misstrauische Angestellte: Moment
Er schreibt Änderungen auf das Blatt.
Chef: (liest laut vor) "Er erledigte alle ihm übertragen Aufgaben zu unserer absolut vollsten Zufriedenheit. Sämtliche anderen anfallenden Aufgaben in der Firma, die ihm aus zeitlichen Gründen nicht übertragen werden konnten, hätte er ebenfalls mit dem gleichen Erfolg erledigt." Ist vielleicht etwas ungewöhnlich?
Der misstrauische Angestellte: Ich möchte sichergehen. Und was soll das hier heißen? "Er ist ein hochqualifizierter Mitarbeiter, der mit seinen analytischen Fähigkeiten bei auftretenden Problemen immer einen Lösungsweg findet." Das ist ja wohl der Gipfel!!
Chef: Wie...?
Der misstrauische Angestellte: Halten Sie mich für Blöde? Probleme! Aha, meine Arbeit war also mit Problemen behaftet. Und analytisch ist das einzige, was ich war? Und lediglich hochqualifiziert? Und meine sonstigen Fähigkeiten? Sie wollen wohl durch Weglassen einen negativen Touch reinbringen? Damit kommen Sie nicht durch!
Chef: Aber, ich...
Der misstrauische Angestellte: Hier, das will ich hier lesen. Sonst Anwalt!
Chef: Öh.. "Er ist ein erstklassiger, hochqualifizierter, talentierter, motivierter, belesener, musikalischer und empathischer Mitarbeiter, dessen Arbeit niemals mit irgendwelchen Problemen auch nur in Zusammenhang gebracht werden könnte. Sollte (rein fiktiv) bei seinen Arbeiten Probleme aufgetaucht sein, die selbstverständlich nicht in seinem Einfluss gelegen haben würden, hätte er diese Probleme durch sein analytischen, planerischen, kollegialen und intellektuellen Fähigkeiten jederzeit unverzüglich gemeistert" Herr Grottenberg, glauben Sie mir, das macht das Zeugnis nicht besser. Mein Satz war wirklich die optimale Formulierung für Ihre Arbeit. Besser geht's es nicht!
Der misstrauische Angestellte: (zischt) Vor 5 Minuten hätte ich das Ihnen noch geglaubt. Aber dann habe ich das hier gelesen. Sie sind mit allen Wassern gewaschen, wie? Aber nicht mit mir. Das da ist der Gipfel!!
Chef: (röchelt) "Sein Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Mitarbeitern und Kunden war stets vorbildlich." Was soll denn jetzt daran verkehrt sein???
Der misstrauische Angestellte: Und all die anderen? Dass da will ich lesen!
Chef: (liest) "Sein Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Kunden, Mitarbeitern, Lieferanten, Betriebsrat, Finanzbeamten, Wirtschaftsprüfern, externen Technikern, Telekommitarbeitern, Postbediensteten, städtischen Bediensteten, Auszubildenden, Ehepartner und Lebensgefährten von Mitarbeitern sowie Frau, Kinder und Familienmitgliedern der Geschäftsleitung war grundsätzlich jederzeit, stets und immer absolut vorbildlich."
Chef: (am Rande der Beherrschung) Wegen mir, wenn Ihr Herz daran hängt. Aber meine Frau und Kinder bleiben da außen vor. Sie kennen Sie ja überhaupt nicht!
Der misstrauische Angestellte: (triumphierend) Ich wusste es, dass Sie mir eine reinwürgen wollen! Da ist also der Punkt. Aber damit kommen Sie nicht durch. Ich werde Klage einreichen!
Chef: Raus aus meinem Büro
Der misstrauische Angestellte: Elender Sklaventreiber! Man kann wirklich nicht vorsichtig genug sein!

Klaus Marion


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Last updated 05.05.02