Fax it!

(c) Klaus Marion 1999

erschienen in VorSicht 1/99


 

Der Versuch eines Ausweichens kam zu spät. Rudi hatte mich bereits im Gewühl der Fußgängerzone identifiziert und zielsicher angesteuert. Unter dem Arm schleppte er zwei große Kartons, die er schnaufend auf den Boden stellte.
„Schön daß ich Dich treffe. Ich muß Dir unbedingt etwas erzählen...“
„Sag nur, daß Du Deine Schulden an mich zurückzahlen willst?“
„Laß den Unsinn. Nein, es geht um eine ernste Sache. Weißt Du, was das ist?“ Er deutete auf die beiden abgestellten Kartons. „Das sind Faxrollen. 50 Stück. Sauteuer.“
Ich bekundete höfliches Interesse.
„Du hast Dir ein Faxgerät zugelegt?“
„Genau. Im Sonderangebot für 199,- DM. Tolle Sache. Endlich ist es soweit. Endlich gehöre ich dazu.“
„Du bist endlich per Fax erreichbar?“
„Nicht deswegen!“ Nach einem kurzen absichernden Blick beugte er sich vertrauensvoll vor und wisperte mir geheimnisvoll ins Ohr. Sein Mittagessen, meldete meine Nase, bestand entschieden aus stark knoblauchhaltigen Speisen.
„Endlich kann ich all diese Sachen machen, die die anderen schon lange heimlich tun konnten.“
„Was, es gibt jetzt auch Fax-Sex??“
„Häh? Nein, andere ärgern natürlich. Mit dem Faxgerät!“
Ich muß wohl einen verwirrten Eindruck gemacht haben, denn Rudi bequemte sich zu einer ausführlicheren Erklärung.
„So ein Faxgerät ist eine tolle Sache. Wenn Du irgend jemand nicht magst, dann finde seine Faxnummer heraus und schicke ihm einfach etwas. Beliebige Blätter, Zeitungsausschnitte, einfach so. Anonym.“
„Ja und? Dann wirft er es einfach weg und fertig.“
„Eben nicht. Das ist ja das Tolle. Die meisten Faxgeräte verwenden so ein Thermopapier. Das gibt’s auf der Rolle und kostet ‘ne ganze Menge. Und jede Faxseite verbraucht etwas davon. Hähä...“
„Ist doch Blödsinn. Auf dem Fax steht doch oben Dein Name oder Deine Nummer drauf.“
„Jaha, aber die kann man im Faxgerät ändern. Jederzeit. Zum Beispiel auf den Namen einer Dir besonders unsympathischen Person. Und unter deren Namen schickst Du dann den Kram ‘raus. Da freuen sich dann Sender und Empfänger...! Nur mit ISDN-Anschlüssen muß Du vorsichtig sein, da könnte auf der Gegenseite Deine Nummer im Display auftauchen. Hab ich aber bei mir unterdrücken lassen.“
„Und so etwas macht Dir Spaß? Ich hab auch schon mal so Sachen bekommen, und fand das gar nicht lustig.“
„Nimm’s sportlich. Besonders schön ist die sogenannte ‘Schleife’. Drei Blätter an der Kante aneinanderkleben, mit irgendwelchem belanglosen Zeug oder Beleidigungen füllen, und wenn die Unterseite aus dem Faxgerät rauskommt, schnell mit dem Anfang verkleben. So entsteht eine Endlosschleife, und auf der Gegenseite rauscht Meter um Meter aus dem Apparat, bis die Rolle leer ist. Und wenn Deine Blätter praktisch weiß sind, geht das auch rasend schnell! Das an 5 Tagen hintereinander, und die Gegenseite meldet ihr Faxgerät ab. Garantiert!“
„Schäm’ Dich! Ist doch vorpubertär!“
„Natürlich ist das nur kurze Zeit befriedigend. Aber auch andere Sachen sind toll. Offiziell aussehende Schreiben zum Beispiel, die ich an mißliebige Personen sende. Du glaubst gar nicht, wie einfach es ist, mit Schere und Kleister irgendwas zusammenzustoppeln, und dann zu faxen. Bei der schlechten Qualität der Übertragung merkt das sowieso keiner. Steuernachzahlung 10.000,- DM, Lottogewinn von 1 Million, Bestätigung der Bestellung von 10.000 Bleistiften zu Großhandelspreisen und Belieferungsankündigung für heute Nachmittag. Da kommt Freude auf, das sorgt für Heiterkeit!“
„Aber nur bei Dir. Laß Dich mal nicht erwischen...“
„Und das ist noch nicht alles. Bestellungen per Fax, mit falschem Absender. Komisch, was die Firmen so alles glauben, wenn es aus dem Faxgerät quillt. Fleischbestellungen („eine ganze, kleine Sau“) beim Metzger, Beerdigungsvorbereitungen, Grobmüllabfuhr, steuerliche Selbstanzeige, Anlieferung von zwei Tonnen Elefantenmist aus dem Zoo für den Vorgarten, bitte ohne Klingeln direkt in den Garten kippen usw...“ Er grinste. „Meine Nachbarn haben nichts mehr zu lachen. Jetzt werden alte Rechnungen beglichen.“
„Toll. Wirklich. Und was machst Du, wenn Dein Lieblingsnachbar gar kein Faxgerät hat?“
„Hähähä, dann schalte ich mein Faxgerät auf zeitversetztes Senden mit automatischer Wiederwahl und gebe seine Telefon-Nummer an. Nachts um 4 Uhr“
„?“
„Klar, das klingelt solange, bis er sich aus dem Bett gewälzt hat und abnimmt: Pfeifton. Legt auf und will sich wieder hinlegen. Klingelt schon wieder. Danach dauert es aber 5 Minuten. Dann 10 Minuten. Und der nächste Versuch kommt erst nach 20 Minuten. 3 Nächte hintereinander, und er käuft sich ein Faxgerät mit Faxweiche, nur um rauszufinden, was man ihm denn eigentlich faxen will. Und in der nächsten Nacht hat er dann 5 Meter weißes Faxpapier vor dem Gerät liegen.“
„Du scheinst das ja wirklich toll zu finden. Paß auf, daß Du keinen Ärger bekommst!“
„Das ist ja das Schreckliche. Irgendwas ist schiefgegangen. Seit Anfang dieser Woche hat es einer auf mich abgesehen. Seitenweise Faxe mit Schmähungen und falschem Absender. Fiktive Kündigungen von meinem Chef, Lieferungen von mit Fax bestellten Konsum-
artikeln aus allen gängigen Versandhauskatalogen. Reihenweise Versicherungsvertreter, die per Fax angebliche Terminvereinbarungen von mir erhalten haben wollen. Kündigungen aller möglichen Verträge in meinem Namen. Selbst eine Schmähschrift an die gesamte Bundestagsfraktion ging nach Bonn und an sämtliche Presseagenturen. Ich bin fix und fertig...“ Schweißperlen standen auf seiner Stirn.
„Da siehst Du endlich einmal, wie „toll“ das ist. Geschieht Dir nur recht!“
„Ja, aber ein Fehler hat er gemacht, der Knilch. Auf einigen seiner Falschfaxe ist die Sende-Nummer nicht ganz entfernt. Die letzten Ziffern sind nämlich noch zu sehen. Wahrscheinlich hat dieser Verbrecher beim Umstellen am Faxgerät einen Fehler gemacht, bevor er mich terrorisierte. Noch so ein Fehler, und ich weiß seine Nummer! Ich krieg schon raus, wer mich hier fertigmachen will.“ Er blinzelte mir noch einmal hoffnungsvoll zu und verschwand schnaufend mit seinen Kartons.
Wirklich schrecklich. Aber die in meinem Faxgerät hinterlegte Absenderzeile werde ich mir schnellstens noch einmal ansehen müssen...


Klaus Marion


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Last updated 07.02.99