Fisch

(c) Klaus Marion 1992

erschienen 7/92 in VorSicht


Dieses Jahr verschlug es uns im Urlaub an die Nordsee. Neben der Tatsache, daß die deutsche Nordseeküste allgemein als das Las Palmas des Nordens gilt (zumindest nach Ansicht der dortigen Fremdenverkehrsbüros) waren die Motive dieses Urlaubs mehr anthropologischer Natur.

Soll doch der dort hausende Menschenschlag zumeist aus kleinwüchsigen, wettergegerbten Schlickspringern bestehen, die in gelbe Gummigewänder gekleidet über windzertoste Deiche hüpfen, ein Anblick, den man erlebt haben sollte.

Wie sich schon nach wenigen Tagen herausstellte, ist diese laienhafte Vorstellung natürlich völlig falsch: Die Nordseebewohner sind im allgemeinen normal groß.

Ein völlig anderes Kapitel hingegen sind die Ernährungsgewohnheiten der dort ansässigen Volksgruppe. Besteht mein Kontakt zu flossenbewehrten Wasserbewohnern im Jahresverlauf aus einer seltenen Portion Fischstäbchen und einer quartalsweisen Scholle in Madeirasoße, so mußte ich feststellen, daß im Bereich des Nordsee-Einzugsgebietes eine gewisse Tendenz zum Fisch festzustellen ist.

Meine erste Erfahrung in dieser Hinsicht war der Besuch eines durchschnittlichen Restaurants, bei dem ich den Ober in meiner gewohnten weltmännischen Art um eine Empfehlung kulinarischer Art ersuchte.

"Fisch"

Das überzeugte mich. Mit souveräner Geste schloß ich die Karte und äußerte mein Begehr.

"Wir hätten dann bitte zwei mal Fisch." 

"Süß- oder Salzwasser?"

"Weder noch. Zwei Pils!"

Der Ober schien in tiefster Seele zu seufzen. Seine nächsten Sätze artikulierte er betont langsam und unterstrich sie durch erläuternde Gesten.

"Möchten Sie Süßwasser- oder Salzwasser-Fisch?" Seine Hand zuckte wellenförmig.

Da ich kein Verfechter von Süßspeisen zu Mittag bin, entschied ich mich für Salzwassergetier. 

"Schalentiere oder Hochseefisch?"

"Äh, Hoch..."

"Scholle, Hering, Plattfisch?"

"Ja"

"Oder Makrele, Flunder. Oder Hammerhai?" 

"Bringen Sie mir das, was Sie am besten finden." So begann mein Urlaub mit einem geschmackvoll. gedünsteten, noch in der Stachelschale. befindlichen Riemenfisch.

Nun ist gegen das aus tiefster Nordsee gefischte Getier rein prinzipiell nichts einzuwenden, und der verstärkte Genuß von grätenhaltigen Lebewesen soll rein physiologisch nicht zu verachten sein, doch schon am 3. Tag schien es mir an der Zeit, die etwas einseitige Diät kurzeitig zu unterbrechen. Dies erwies sich leider als deutlich schwieriger als angenommen. Geschäftsstraßen, bei denen sich Fischgeschäfte mit Verkaufsständen für Fischbrötchen abwechselten, waren die schaurige Realität. Brötchen mit Lachs, mit: Flunder, mit Schellfisch, mit gedünstetem Muscheln und frisierten Tintenfischen. Pommes Frites mit Fischgeschmack, Fischburger und Plattfischschnitzel. Supermärkte, in denen in der Fleischabteilung ein paar armselige, Würstchen vergammelten, verbarrikadierte Fenster von Geschäften, in denen ausgemergelte Metzger resignierend das Handtuch geworfen hatten.

Wochenmärkte, auf denen glubschäugige Meeresbewohner recht ablebig aus großen Kisten glotzten.

Tiefkühlregale, in denen statt gefrorener Hamburger 40 verschiedene Sorten Fischstäbchen ihrem Verzehr harrten. Selbst das Hundefutter war mit Fischbeilage versehen.

Nach den ersten Alpträumen, in denen es um mit Fischbrötchen kämpfende Schwertfische zu gehen schien, fing ich an, auf die auf dem Campingplatz herumwandernden Pudel begehrliche Blicke zu werfen.

Ich kroch wieder in ein ortsansässiges Lokal. 

"Sie wünschen?"

"Fleisch!'

"Krabbe oder Languste?"

"Nein! Ein Steak. Ein Schnitzel. Vom Tier. Vier Beine. Es macht Muh!"

Meine erläuternde Pantomime machte bei den anderen Gästen starken Eindruck.

"Das führen wir nicht. Es wird nicht verlangt. Möchten Sie vielleicht einen guten Scampisalat?" Einem mitleidigen Eingeborenen schilderte ich entkräftet mein Problem, während er mich stützend an eine Wand lehnte.

"Ich habe noch eine Packung Gulasch. Ein Mitbringsel meines Großvaters mütterlicherseits aus dem 2. Weltkrieg. Vielleicht kann Sie das retten..."

So überlebte ich. Es war knapp.


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Last updated 15.11.99