SMS

(c) Klaus Marion 2001

erschienen 4/2001 in VorSicht

 


Ich saß friedlich in der Kellerkneipe meines Vertrauens, als sich plötzlich eine bekannte Gestalt mir gegenüber zu plazieren begann und dem Wirt bedeutete, dass die nächsten zwei Bier auf meine Rechnung gehen würden.
"Und, wie geht's?"
"Nun, ich kann nicht..." Während ich noch zu höflichen Erwiderung ansetzte, verschwand Rudis Blick vor sich unter dem Tisch, wo seine Hände irgendwelche geheimnisvolle Dinge zu tun begannen und er mich nicht weiter beachtete."
"Rudi?...Rudi!!" Rudi schielte kurz nach oben. "Ignoriere das einfach. Ich sehe nur schnell meine letzten SMS durch."
"SMS?"
"Natürlich, SMS. Jetzt stell Dich nicht dünner als Du bist. SMS. So kleine Textnachrichten, die man am Handy tippt und einer beliebigen Person zuschicken kann. Du weißt doch. Handy, kleine Funktelefone, kann man kaufen, machen Tirrit-Tirrit..." Er begann sehr deutlich und langsam zu sprechen und begleitete seine Worte mit beschreibenden Gesten.
"Ich weiß, was ein Handy ist. Ich habe auch eines."
"Na also. Und was macht man mit einem Handy?
"Man telefoniert"
"NEIN! Das ist ja von vorgestern. Telefonieren ist völlig out! SMS-Nachrichten sind da viel besser und absolut modern."
Meine Gesichtszüge verrieten mich.
"Mein Gott, Du bist ja von Vorgestern mit Deiner Skepsis. Nehmen wir mal zum Beispiel: Du willst Dich am Kino treffen, und verspätest Dich. Dein Partner hat aber ein Handy dabei. Was tust Du also?"
"Ich rufe ihn auf dem Handy an"
"Quatsch, Du schickst ihm ein SMS"
"Aber warum? Ein Anruf ist doch einfacher"
"Aber ein SMS ist da besser als so ein Anruf. Schließlich kann es ja sein, dass Dein Kumpel am Kino das Handy gar nicht an hat. Und was dann?"
"Dann kriegt er meine SMS aber auch nicht"
Rudi war kurz verwirrt. "Äh, ja richtig. Aber später bekommt er es. Und kann genau nachlesen, warum Du nicht kamst!"
"Sehr schön. Und warum soll ich das nicht auf seine Mailbox sprechen?"
"Weil äh, weil Du sowieso so undeutlich sprichst und Dich kein Mensch versteht. Aber das geht völlig am Thema vorbei. SMS sind einfach gut, weil Du da was klares und schriftliches hast. Du kannst es auf Dein Handy laden, dort abspeichern und bei Bedarf weiterverwenden.
"Schau mal hier" Er zog ein silbernes Handy mit vielen Knöpfen und Monatsraten hervor und drückte es mir in die Hand. "Da, da habe ich alle wichtigen Meldungen zusammen, die bei mir in den letzten Tagen eingetroffen sind. Lies nur!"
"'Bestätige Dankend die Schuldenübernahme durch Herrn Marion, Bad Kreuznach' Wie bitte???"
Rudi drückte rasch ein paar Tasten. "Das ist ein schlechtes Beispiel. Schau lieber das hier an: Ein Kumpel hat mir eine SMS geschickt, wohin wir in diesem Sommer unsere Trecking-Tour machen werden.
Ich kniff die Augen zusammen und las:
"Uns Berlin stapeln in Ober auf 18.7. auf Gaul hier" Ich meditierte einige Sekunden ratlos über dem stark transzendalen Satz.
"Ähm?"
"Ja, das ist ein bekanntes Phänomen" räumte Rudi ein. "T7 Texterkennung. Du tippst die ersten Buchstaben ein, und das Gerät versucht anhand des Anfangs den Rest des zu ergänzen. Wenn das Wort richtig geraten ist, drückst Du Pfeil nach rechts und machst mit dem nächsten Wort weiter. Erfordert natürlich etwas Konzentration, damit man nicht falsche Wörter akzeptiert. Ist aber mit etwas Phantasie kein wirkliches Problem. Schau, der Sinn liegt doch auf der Hand: 'Unsere Bergtour startet in Obersdorf am 18.7. am Gasthof Hirschen' muss das heißen"
"Also, ich weiß nicht. Das ist doch abartig, Du drückst auf bis zu 5 Tasten, um einen Buchstaben zu bekommen. Da dauert doch alles ewig."
"Völliger Unsinn, Du Fortschrittsbanause. Natürlich arbeitet der gewiefte SMS-Versender mit Abkürzungen. Kein Mensch schreibt: 'Hole doch bitte noch Bratfisch mit Knödeln vom ALDI für unser Essen heute Abend!' Da schreibt man 'BrFi m Knö v AL wg Ess h Ab'. Geht Ruckzuck und ist praktisch!"
Ich war noch nicht restlos überzeugt.
"Da hätte ich auch telefonieren können. Ich sehe keinen echten Vorteil."
Rudis Blick war auf dem Manuskript neben mir liegengeblieben. Sein Auge leuchtete auf.
"Eine neue Satire? Da ist eine wundervolle Anwendung drin. Statt mühsam Dein Manuskript vorbeizubringen, schickst Du einfach Deine Satire per SMS an die Redaktion!"
"Per SMS?"
"Natüürlich. Geht ruckzuck und kann in der Redaktion per Infrarot-Verbindung vom Handy auf den PC gespielt werden. Ich beweise es Dir, wie gut und schnell das geht!"
Er studierte meine Zeilen.
"Äh, Deine Satire hat mehr als 240 Zeichen?"
Ich bestätigte ihm, dass dies in der Regel anzunehmen sei.
"Läner ist die SMS leider nicht. Aber auch kein Problem. Wir verwenden Abkürzungen zur Komprimierung. Also, aus 'ich saß friedlich' machen wir ein 'Isfr', nein, kürzer ein Is. Der Folgesatz ist eigentlich absolut redundant und kann weggelassen werden. Dann ein 'uWg'..." Er blickte mich an. "Ich setzte bei Deinem zuständigen Redakteur natürlich etwas Phantasie voraus."
"Und Du meinst, dass funktioniert?"
"Aber natürlich! Das ist moderne Kommunikationstechnik. Kurz, prägnant, schnell und sicher übermittelt. Ein echter Fortschritt, der Geld spart!"
Ich war beeindruckt"
"Du hast mich überzeugt"
Das fand auch mein Herausgeber und kürzte mein Zeilenhonorar auf den Umfang der übermittelten 240 Buchstaben.
S n bld Schwsinn!


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Last updated 05.05.01