Trendsport

(c) Klaus Marion 1998

erschienen in VorSicht 11/98


Seit Jahren ist es zu beobachten: die Hinwendung zu neuen,
dynamisch-jungen Sportarten, die absolut cool und trendy sind. Vorbei die
Zeiten, als der Squash-Schläger in der Sporttasche noch Ausweis von
ungebremstem fun-style war. Free-Climbing ist ein alter Hut, und
Bungee-Jumping gilt als mega-out (außer natürlich in seiner verschärften
Form, dem Free-Jumping, welches aber selbst zu Zeiten extremer
Börsenturbulenzen in den Finanzmetropolen keinen besonderen Ruf als
Breitensport erringen konnte).
Nein, heutzutage sind ganz neue, hippe Sportarten in Mode. VORSICHT,
das angesagte Magazin für Trendsportarten, veröffentlicht daher an dieser
Stelle eine Liste der absoluten hyper-Sportarten, um dem geneigten Leser
eine Auswahl an die Hand zu geben und auch weiterhin sportlich absolut im
Trend zu liegen.


TOP-Crashing

Seit Jahren schon ein beliebter Geheimtip, hat nach Gründung des
„Bundesverbandes der TOP-Crasher e.V.“ diese Sportart einen
ungeahnten Aufstieg erlebt. War das Beschädigen von geparkten PKW auf
großflächigen Supermarktparkplätzen früher eine Betätigungsfeld für
Anfänger und Dilettanten, so hat doch die Professionalisierung die Sportart
in ganz neue Kanäle gelenkt.
Die Regeln sind denkbar einfach und auch für den Neuling leicht faßlich und
klar nachzuvollziehen: In der neuesten Verabschiedung des Regelwerks
wird zwischen Kür und Pflicht unterschieden. In der Pflicht werden
Beschädigungen an zufällig ausgewählten, auf öffentlichen Parkplätzen
stehenden Autos beim Ein- und Ausparken gewertet, wobei die
Unterscheidung in Beulen, Kratzer und Glasschäden eine differenzierte
Punktebewertung erlaubt. Die einzelnen Figuren wie der „seitliche
Lackanschlitzer“ oder der „krachende Türeindrücker“ können aber nur
dann von der Jury mit einer vollen Punktzahl belohnt werden, wenn die
Beschädigungen am eigenen Auto unterhalb der Sichtbarkeitsschwelle
bleiben. Dabei ist die von den Punktrichtern einzusetzende Benotung auch
offen für gänzlich neue Figuren.
In der Kür können dann eigene Figuren auch unter Zuhilfenahme von
Hilfsmitteln wie stehende Einkaufswagen und aus dem Fenster gehaltene
Wagenschlüssel vorgeführt werden.
Fazit: Ein Sportart im Kommen! Der Tip: Für die nationale Punktewertung
können seit Sommer auch beglaubigte Polizeiberichte herangezogen
werden!

CashPoint-Mobbing

Eine Sportart für Individualisten. Dies zeigt sich schon daran, daß die
nationale Liga ihren Meister nicht auf Großturnieren ermittelt, sondern nach
der Meldung von Einzelergebnissen durch eine Prüfungskommission Punkte
verteilt.
Die Teilnahme erfolgt nach einer Anmeldung beim Ligaausschuß formlos.
Gemäß §1 des 1996 verabschiedeten Regelwerks ist „die Aufhaltung einer
Menschenmenge an einer Kasse eines beliebig zu bestimmenden
Supermarktes Zweck und Ziel“ dieses emotional geladenen Wettkampfes.
Die Punkteregelung ist klar definiert. Die Wertungspunktzahl ergibt sich aus
der Zahl der Minuten, mit der man an der Kasse den normalen
Verkaufsfluß aufhalten kann. Die ermittelten Minuten werden mit der
Anzahl der hinter dem Spieler wartenden Personen multipliziert und durch
die Anzahl der freien Kassen dividiert (Sondermultiplikatoren gibt es für
Weihnachtsfeiertage und den Ostersamstag).
Ein Spiel für Leute mit eiskalten Nerven. Als wahrer Meister hat sich in der
abgelaufenen Saison Gerlinde K. aus Hamburg erwiesen, der es in der
entscheidenden Wertung gelang, an einer einzigen geöffneten Kasse mit am
Schluß 34 (!) wartenden Personen eine Verzögerungszeit von 17 Minuten
zu erreichen. Besonderen Beifall fand dabei ihre Methode, verschiedene
Taktiken wie „kein Geld dabei“, „vergessene PIN-Nummer“, „gesperrte
Kreditkarte“ und „falscher/fehlender Preis“ zu einer geglückten Abfolge zu
verbinden. Der Kniff, beim Einpacken eine Tüte mit angeschnittenem
Boden zu verwenden, brachte durch die herumkullernden Dosen sowie der
aufgeplatzten Packung mit Frischmilch die entscheidenden Sekunden, um in
der abgelaufenen Saison der Ligatitel unangefochten zu erreichen.
Nicht alles ist erlaubt. Vortäuschen von Gebrechlickeit oder
krankheitsbedingter Ausfälle werden nicht geduldet, gelten in der Branche
als absolut unsportlich.
Doch Obacht! Insbesondere ungeübte Teilnehmer verpassen oft den
Moment, wo der psychische Druck der wartenden Personen in physische
Übergriffe umschlägt. „Wir empfehlen allen Anfängern den Abschluß einer
Krankenhauszusatzversicherung“. Ein Ratschlag des Ligavorsitzenden, dem
man sich aus sportlicher Verantwortung nur anschließen kann.
Fazit: Eine Sportart mit dem Potential zur Massenbewegung.

Müllporting

Das wirtschaftliche Zwänge die Ausbreitung von Sportarten fördern
können, ist dem Sporthistoriker ein trivialer Gemeinplatz. War doch der
Fußball in seinen Anfangstagen ein Kind des englischen Fabrikproletariats,
und ist der wirtschaftliche Aufstieg in den Individualsportarten Tennis oder
Formel 1 nicht selten durch das Verlangen geprägt, mit dem sportlichen
auch wirtschaftlichen Erfolg verbinden zu können.
So kann es nicht verwundern, daß die jüngste Gründung des
„Bundesverbandes für Müll-Porting“ zeitgleich mit den Ergebnissen der
Bundestagswahl verlief.
Immer mehr kommunale und regionale Vereine verbinden hierbei den
praktischen wirtschaftlichen Nutzen mit sportlichem Ergeiz.
„Der Müll muß weg. Die Tonnen sind einfach zu klein, und teuer sind sie
auch noch. Da ist jede Dose in einer anderen Tonne ein Gewinn.“
Die Aussage des Vorsitzenden des Bundesschiedsgerichts der Müllporter
kann als repräsentativ gesehen werden.
Ziel des Wettkampfes, der sowohl als Einzel- wie auch als
Mannschaftswettbewerb betrieben werden kann, ist die Verteilung des
Hausmülls auf andere Mülltonnen in der Nachbarschaft. Neben Ligaspielen
werden auch Einzelwettbewerbe ausgetragen, bei den besondere
Leistungen mit entsprechenden Leistungsabzeichen belohnt werden.
Die Tonne in Silber wird z.B. für dreimaliges Leeren der Mülltonne ohne
jeglichen Inhalt verliehen, bei der Leistungstonne in Gold ist dieses Ziel
sowohl für Haus- wie auch für Biomüll zu erreichen.
„Eine spannende Sache mit hohem sportlichen Ehrgeiz. In kürzester Zeit
sind nämlich die Nachbartonnen durch Schlösser gesichert oder durch
Annäherungsmelder mit starken Scheinwerfern beschützt. Da hilft nur
Einfallsreichtum.“
Der Aussage dieses Teilnehmers können wir nur zustimmen. Schließlich
erfordern die Abwehrmaßnahmen erboster Nachbarn enorme körperliche
Fitneß, kann es doch schon einmal passieren, daß ein veritabler
Schäferhund in nächtlicher Stunde die Verfolgung des Mitspielers aufnimmt.
Und der Umweltschutz? Die Nachfrage ergab klare Aussagen und eine
deutliche Abgrenzung von unverantwortlich handelnden Laien: „Wir achten
selbstverständlich auf die Umwelt. Nur vorsortierter Biomüll darf in fremde
Gärten und auf Hofeinfahrten gekippt werden. Alles andere können wir in
unseren Reihen nicht dulden!“
Ein Appell, dem wir uns anschließen möchten.

Soweit für heute. In einer der nächsten Folge betrachten wir:
Extremparking, Hyperfrusting und die neu gegründete Liga des
Blackworking.




Klaus Marion


Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Last updated 17.01.99