Der erste Leserbrief

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Aus BEAM 8 spezial
© Klaus Marion April 1988

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Zu den prägenden Dingen im Leben gehören die Geburt, die Schule, die erste Liebe, der Verlust naher Angehöriger. Für Lebewesen der Gattung Fanzineherausgeber gesellt sich zu dieser Auflistung ein mindestes genauso bedeutsames Erlebnis, dessen seelische Auswirkungen von Vertretern der psychologischen Wissenschaften noch gar nicht tief genug gewürdigt werden konnte:

Der erste Leserbrief

Im Gedenken an die Zeit, in der auch meinem Umdrucker das erste Werk geistigen Esprits und sprühender Gedanken entstieg.

 

Es ist dunkel. Gespenstische Schatten huschen, finsteren Schemen gleich, vorüber, Stille lastet über der Straße. Ein schneidend kalter Wind entspringt urplötzlich der Finsternis und breitet seine kalten Schwingen aus. Ein Käuzchen ruft. Mitternacht. Neumond.

Die Menschen spüren es, diesen eisigen Hauch der Vorahnung, der sich wie ein schwarzer, rußiger Vorhang über die Straße legt. Flüsternd spricht man von der Verheißung des Unheils, und die Menschen schließen ahnungsvoll die Fensterscheiben ihrer Wohnungen. Nur in einem Haus brennt noch Licht, ein einzelnes, beleuchtetes Fenster. Eine Gestalt sitzt einsam, in gespenstische Schatten gehüllt, an ihrer Schreibmaschine.

Der Hauch der Verdammnis liegt über der Victorinusstraße.

Frank Ausenstein erwacht schweißgebadet. Ein schrecklicher Alptraum hat ihn gepackt und dem Schlaf entrissen. Zitternd macht er Licht, das Grauen noch vor Augen. Er hat es geträumt, ja, ganz genau. Eine einzelne Schreibmaschine, eine finstere, dunkle, bösartige Gestalt davor, die Finger dämonisch verkrallt. Das Wesen, Frank erinnert sich mit einem Schaudern, spannte mit einem krächzenden Lachen ein Blatt Papier in die Maschine, deren Äußeres vermuten ließ, daß sie schon für allerlei dämonische Beschwörungen Verwendung fand.

Ja, da war der Traum ganz deutlich gewesen, Frank, Ausenstein konnte es klar entziffern:

'Leserbrief prangte in blutroten Lettern über dem Bogen, und der Name des Absenders wurde ihm dargetan: Klaus Marion...

Franks Lippen entringt sich ein qualvolles Stöhnen bei der Erinnerung an den Traum, dessen Inhalt, soweit ist Frank klar, eindeutig prophetischen Inhalts gewesen

ist. Ein spontanes PSI-Erlebnis. Eine Wahrnehmung im Angesicht der tödlichen Gefahr. Er krümmt sich zusammen. Ja, dann hatte die schreckliche Gestalt zu tippen begonnen, die eisernen Lettern schleuderten hieroglyphenhafte Gebilde zu Papier. Die Sicht war ihm nun versperrt, doch er konnte im Traum jedes Wort spüren, körperlich, schmerzhaft.

Dieses Brennen der Beine, als ob kochendes, dampfendes Öl Bahn über seine Extremitäten brechen würde. War das ein "das Editorial ist wirklich inhaltlich das überflüssigste, abgesehen vom ganzen Heft selber"?

 

So mußte es sein.

Zitternd kriecht der von der Erinnerung gepeinigte an den Schreibtisch, um sein Machwerk noch einmal zu begutachten. War es wirklich so schlimm? Zugegeben, sein erstes Fanzine war es gewesen, man muß Erfahrungen sammeln. Doch scheint ihm die monatelange Arbeit gelungen, ehrlich gelungen. Konnte es sein, daß ... ?

Mit vor Erregung bebenden Fingern beginnt er die Seiten zu durchblättern. Sollte seine SF-Story so schlecht sein? Hatte er nicht tagelang daran gefeilt, jedes Wort abgewogen, verglichen, korrigiert.

Doch war da nicht im Traum dieser schreckliche, in Agonie übergehende Schmerz, ein "selten ein so dämlich-lächerliches Machwerk gesehen" gewesen? Frank Ausenstein war sich sicher. So mußte es sein.

Der Traum war unaufhaltsam seinem Höhepunkt entgegen geschritten, quälend und langsam. Von unsichtbaren Kräften festgehalten, blickte er hilflos auf den Rücken dieser widerlichen Kreatur, roch ihren stinkenden Atem bei jeder ihrer krächzenden Laute. Und dann, wie in Zeitlupe, konnte er nur schreiend das Niedersausen der verkrüppelten Finger erwarten, die Worte zu Papier brachten, deren Tiefe Ihren Bann in unsäglichen Qualen des Schmerzes für Frank Ausenstein.

"dümmlich... belanglos... kindisch..."

 

War es so gewesen? War aus dem Brennen wie von entzündendem Benzin nicht ein "das fannische Kreuzworträtsel war der Gipfelpunkt der Einfallslosigkeit" herauszulesen?

Ein Schluchzen entringt sich der gepeinigten Seele von Ausenstein. Nun gut, sicherlich war auch die Buchbesprechung nicht gerade ein Licht des literarischen Esprits gewesen. Und beim Abdrucken des selbstentworfenen Würfelspieles mit Bastelanleitung hatte er auch seine Bedenken gehabt. Aber warum dies alles? War er so schlecht? Hätte nicht wenigstens das Impressum dem gnadenlosen Auge standhalten können? Erschöpft barg er seinen Kopf in den Armen.

"Schandfleck des Fandoms.. Eine literarische Katastrophe"

Hier war der Traum zu Ende gewesen, nur eine verblassende Ahnung der Endgültigkeit hatte sich noch in sein Gedächtnis geprägt, als die Kreatur den Brief mit einer Briefmarke versah und beiseite legte.

Warum hatte er nur diesem Monster ein Fanzine geschickt? Warum nur? Wann würde der Leserbrief eintreffen? Morgen? Übermorgen?

Was bot das Leben jetzt noch für einen Sinn? Ein kurzes, hoffnungsvolles Dasein, in einem Moment seinem ganzen Sinn beraubt, dahingeworfen auf dem Schutthaufen der Hoffnungslosigkeit.

Frank Ausenstein wankt gemessenen Schrittes aus der Wohnung, dem nahenden Fluß entgegen, seinem sinnentleerten Leben ein schnelles Ende zu bereiten. Seine letzten Worte verschluckt der heraufziehende Nebel.

Tage später erreicht der Leserbrief seine Adresse.

Er ist ein einziger Begeisterungsausbruch. Von vorne bis hinten.

 


Letzte Änderung - 12.07.98