Sport ist Mord

(c) Klaus Marion 1993

erschienen in VorSicht


"Sportliche Betätigung ist als körperlich ungesund einzustufen, und schadet dem menschlichen Selbstbewußtsein!"

Diese aufschlußreiche Bemerkung aus kompetentem Munde (E. Quasimodo: "Mein Leben als Glöckner" ) hat meine Einstellung zu allen körperlichen Anstrengungen nicht unwesentlich beeinflußt. Schon in frühester Schulzeit betrachtete ich Aufforderungen, irsinnig hohe, kastenartige Holzhindernisse mit "einem gestreckten Sprung in seitlicher Strecklage mit anschließender Hockrolle und seitlichem Abfedern" zu überwinden, mit einem gesunden Mißtrauen. Meine ersten Versuche endeten zumeist ernüchternd: Aus dem gestreckten Sprung wurde statt dessen ein gehockter Schienbeinpraller mit schmerzhaftem seitlicher Aufprallage, gefolgt von einem dreifachem Ellenbogenstaucher mit zweifachem Miniskusdehner.

Nach derartigen Bekanntschaften mit der erstaunlich harten Konsistenz von Kastenholz verlegte ich in den folgenden Jahren während Schulsportveranstaltungen meinen Wirkungskreis in vorzugsweise wenig einsehbare Winkel von Gerätelager und Mattenhalter, sowie in unauffällige Ecken von Umkleide- und Toilettenräumen.

Spätere Schwerpunkte im schulsportlichen Bereich brachten nur unwesentliche Verbesserungen. So wurden meine Versuche, durch Einnahme einer zentralen Position im Handballtor eine halbwegs erträgliche Sportnote zu erreichen, im Laufe der Jahre immer in risikobehafteter. Unvergeßlich bleibt mir ein Einsatz in der Halle, als ein Mitschüler, dessen Statur in verblüffender Weise einem wandelnden Kleiderschrank ähnelte, mit dem Handball in der Hand auf mein Tor zurannte. An der Kreislinie sprang er in vollem Lauf, seiner Kehle entriß sich ein donnerndes "UUAAAHJAJAJAAA!", während er den Ball mit der Urgewalt einer stählernen Kanonenkugel aus kürzester Distanz in meine Richtung schleuderte.

Mein Reaktion war ein gurgelndes "OHNEINOHNEIN", während ich instinktiv nach links hechtete, um dem Ball incl Kleiderschrank keinerlei Hindernisse in den Weg zu legen.

Das Schicksal entschied anders. War es der Versuch, die Kugel um meine Gestalt herum ins Tor zu lenken, oder schlichte Unfähigkeit des Schützens, ich weiß es nicht. Der Ball und mein Kopf kreuzten ihre Flugbahn, bevor ich das Rechteck des Tores ganz verlassen konnte. Über die anschließenden Geschehnisse kann ich nicht aus eigener Erinnerung berichten, wie man mir jedoch nach den erfolgreichen Wiederbelebungsmaßnahmen berichtete, war die Aktion von meinem Sportlehrer äußerst positiv aufgenommen worden. Nicht nur der phantastische Abwehrreflex von mir und der wagemutige Einsatz des ganzen Körpers waren ihm besonderer Erwähnung wert. Nein, auch die raffinierte psychologische Einschüchterung des Gegners durch lautes Rufen wurden von ihm lobend erwähnt, während er eine 2+ in sein Notenheft vermerkte.

Ich für meinen Teil beschloß hingegen, in Rücksicht auf meine Gesichtsphysignomie von weiteren Einsätzen in abwehrender Position bei Spielen dieser Art abzusehen.

So verliefen die folgenden Jahre äußerst unsportlich. Zwar meldeten sich ab und zu nagende Zweifel, ob nach Steigen von 3 Treppenstufen eine Pulsfrequenz über 160 wirklich angemessen sei, ich verschob aber eine eventuelle sportliche Betätigung auf eine spätere Zukunft.

Bis zu dieser Woche. Meine sportliche Abstinenz wurde von einem Freund beendet, der mich kurzerhand in eine merkwürdige Halle schleppte, in dem zwei Personen eine komische kleine Gummikugel gegen die Wände zu schlagen hatten.

"Squash kann jeder spielen", erläuterte er mir großzügig. "Schaffst Du eine dreiviertel Stunde?"

Ich bedachte ihn mit einem indignierten Blick. Wenn ich neben sportlichen Anstrengungen etwas nicht leiden kann, dann Andeutigen einer fehlenden körperlicher Fitneß. Mein Körper ist schließlich eine leistungsfähige Maschine.

Das Spiel begann. Über die folgenden 45 Minuten möchte ich mich weiterer Kommentare enthalten, außer daß die Halle von Minute zu Minute größer, der Ball sekündlich schneller zu werden schien. Die Betrachtung zu diesem Phänomens ließ mich die 45 Minuten schließlich durchhalten, anschließend kroch ich hoch erhobenen Hauptes in die Umkleidekabine. Es war geschafft. Ich muß gestehen, daß ich mit einem gewissen Stolz diese Leistung aus dem Stand meines Trainings betrachtete. Kein Problem.

Der nächste Morgen war schrecklich. Aus mir nicht bekannten Gründen schienen meine Oberschenkel sich in die Lagerstätte ganzer bissiger Ameisenvölker verwandelt zu haben. Ein Muskelkater durchzog Bereiche meiner Beine, an deren Stelle ich niemals irgendwelche Muskeln vermutet hätte. Ich schleppte mich zur Arbeit. Kollegen, die sich angelegentlich nach meinen sportlichen Erfahrungen erkundigten, beschied ich lächelnd, daß ich keinerlei Probleme verspüre.

Daß ich mich den ganzen Tag nicht setzte, rief lediglich zu Anfang eine gewisse Verwunderung hervor. Dann gewöhnte man sich daran.

Wenn es zur Situation am Tag vorher noch Steigerungen möglich waren, so wurden diese am folgenden Tag bei weitem übererfüllt. Außer der Tatsache, daß ich meine Knie nicht mehr zu beugen imstande war, hatte mein Rücken eine starke Abneigung entwickelt, ihn in eine gsenkrechte Position zu bringen. Da war es geadezu ein Glück, daß ich meine Ärme nur damit schmerzfrei halten konnte, daß ich sie leicht angewinkelt nach hinten streckte. Das sah zwar etwas merkwürdig aus, verhinderte aber wirkungsvoll, daß ich bei meiner vorgebeugten Haltung einfach umgefallen wäre.

Der heutige Tag erbrachte eine leichte Stabilisierung der schmerzhaften Lage. Mit einem im Mund gehaltenen Kugelschreiber ist es mir bereits wieder möglich, einfache Zeilen auf der Schreibmaschine zu verfassen. Ein konsultierter Arzt beschied mich, daß in wenigen Tagen mit einer Besserung der Situation zu rechnen sein.

Ich solle einfach mehr Sport treiben.

Wir werden sehen.

 

Klaus Marion


Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Last updated 98/05/03