Wo gehts lang?

(c) Klaus Marion 1991

erschienen in VorSicht


Wenn ich mit meinem Auto in eine mir fremde Stadt zu gelangen versuche, dann habe ich mit der richtigen Wegfindung keinerlei Schwierigkeiten. Ein kurzer Blick in eine Straßenkarte, eine überschlägige Zeitberechnung, und 5 Stunden und 14 Minuten später komme ich auf die Minute genau in Bad Hoppenfeld an der Lauer an.

Diese Fähigkeit wird von vielen Leuten an mir bewundert. Sie hat nur einen Nachteil: Sie ist nicht war.

Ich komme zwar an, aber leider erst 3 Stunden später, nachdem ich sämtliche Ortschaften im Umkreis von 100 km fälschlicherweise angefahren und dutzende von Passanten um ihre wohlmeinenden Ratschläge gebeten habe.

Der Mensch ist auf dem Mond gelandet, baut Mikrochips und Dampfkochtöpfe mit Blümchenmuster. Aber wie er problemlos mit dem Auto ein beliebiges Ziel finden kann, das harrt immer noch einer vernünftigen Regelung.

Natürlich gibt es inzwischen phantastische Straßenkarten, auf denen neben sämtlichen Straßen auch Imbißbuden, Tankstellen und Schnellentbindungsstationen peinlich genau verzeichnet sind.

Leider ist relativ schwierig, bei alleiniger Fahrt gleichermaßen die Autobahn, das Fahrzeug vor einem und eine aufgeschlagene Straßenkarte mit Beschriftungen in der Schriftgröße der Zusatzbestimmungen von Lebensversicherungen im Auge zu behalten.

Vorausschauende Lenker machen sich deswegen vorher eine kurze Skizze mit allen wichtigen Abzweigungen und Straßen, die sie dann auffällig ans Armaturenbrett pinnen, wo ein kurzer Blick den richtigen Weg zeigen möge.

Praxisnahe Tests erwiesen dieses Verfahren als äußerst fehleranfällig. Nehmen wir einmal einen typischen Fall: Die Skizze zeigt an, daß vor Köln die Autobahn 254 zu verlassen sei, um die kreuzende A4 in Düsseldorfer Richtung zu bereisen und damit binnen kurzem Klein-Popeldorf an der Sauer zu erreichen. Nach dieser profunden Erkenntnis verhält man sich, sucht die Wegrichtung Düsseldorf, biegt ab - und stellt nach 100 km fest, daß man sich leider kurz vor dem Grenzübergang nach Belgien befindet. So ein Ärger, daß die Straßenverkehrsbehörden einen in die falsche Himmelsrichtung um Köln herumlotsen wollen, damit sich der Verkehr nach Düsseldorf besser verteile. Es ist zum aus der Haut fahren.

Natürlich scheint es von gewissem Vorteil, wenn im Sauerländischen Zottelbach jemand wohnt, der einem telefonisch eine exakte Fahrbeschreibung durchgeben kann, mit dem der Ort nicht zu verfehlen sei:

"Also Du fähst auf die A5, dann auf die A672 bis Kassel, nein besser bis Ermbach, dann die B235 bis Knottelberg, oder nein, lieber die A89 bis Urmelberg, dann weiter bis zu Tankstelle, dann die B523 bis Lechtl, oder vielleicht doch besser die A24..."

Wir werden Zottelbach wohl niemals finden.

Man müßte einen Beifahrer haben. Ein Beifahrer kann sich um die Straßenkarte und um die navigatorischen Feinheiten kümmern, während man selber entspannt das Fahrzeug lenkt und sich den Hinweisen von der rechten Seite ergibt.

Mir schwebt dabei immer die Übertragungung von Ralleymeisterschaften im Fernsehen vor, wo eine gedämpfte Stimme mit Karte und Stoppuhr in der Hand moderato Anweisungen produziert:

"Jetzt Gas runter, rechts blinken, Ausfahrt mit Beschriftung 'Mopfelburg, Rudelheim, Packeldorf' ansteuern, auf die ganz rechte Einfädelspur gehen, Tempo 80" etc etc.

Die Realität sieht anders aus. Je näher die alles entscheidende Ausfahrt heranrückt, je drängender meine "Müssen wir hier raus??"-Fragen werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß einer der folgenden Fälle alle Hoffnung auf ein rechtzeitiges Eintreffen zunichtemacht:

1) Der Beifahrer findet die Ausfahrt nicht auf der Karte (weil er die falsche Karte, die falsche Brille oder die falsche geographische Schulbildung hat),

2) der Beifahrer hat gerade eben die Karte fallen gelassen und versucht erfolglos, sich wieder zurechtzufinden, oder

3) der Beifahrer erbricht sich presstissimo auf die Fußmatte, weil Lesen beim Autofahren dem Magen einfach nicht bekommen will.

Ich möchte nicht ungerecht sein: Natürlich haben schon Beifahrer bei mir die richtige Ausfahrt rechtzeitig identifiziert und mir avisiert. Nur war dann die gewählte Autobahn oder Bundesstraße von einem Verkehrsstau für Stunden lahmgelegt oder durch sonstige widernatürlichen Ereignisse auf längere Zeit blockiert. Oder die Karte enthielt einen Druckfehler, und das gesuchte Warenburg befindet sich in Wirklichkeit in Oberfranken - und nicht in der niedersächsischen Tiefebene.

Hoffnung verspricht hier der elektronische Verkehrspilot. Auf einem postkartengroßen Bildschirm soll eine passende Straßenkarte erscheinen, mit einer Markierung, wo man ist, und wo es langgeht.

Ich sehe es schon vor mir: ich nähere mich dem Autobahnkreuz, das die Entscheidung brigen soll. Raus oder nicht, lautet die Frage. Ich blinzele in Richtung des kleinen Mikrochip gespeisten Ratgebers. Da ist die Karte und...

Eine kleine blinkende Schrift erscheint. "Mir ist so schlecht und ich habe die Karte fallenlassen - Bitte Warten Bitte Warten"

Alles andere hätte mich auch gewundert.


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Last updated 96/11/25